Interview: „Wir wollen Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen“

Interview: „Wir wollen Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen“

Last Updated on 2021-08-02
Man hätte den Klimawandel genauso ernst nehmen müssen wie die Corona-Krise, meint Marlene Buchinger von Buchinger Kuduz. Das Beratungsunternehmen versteht sich als Veränderungsspezialist und engagiert sich intensiv für Nachhaltigkeit. Heftige Kritik übt Buchinger am Energiecharta-Vertrag (ECT), der den Abschied von fossiler Energie massiv behindert bzw. verteuert.

INARA: Bitte stellen Sie uns zunächst Ihr Unternehmen kurz vor.
Marlene Buchinger, BA(FH), MSc: Das Unternehmen Buchinger Kuduz mit Sitz in der Leutasch (Tirol) ist auf die Entwicklung von Veränderungsfähigkeit von nationalen und internationalen Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Unsere Vision lautet, dass die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne des ehrbaren Kaufmannes handelt.

INARA: Was sind Ihre Aufgaben im Unternehmen und was haben Sie früher gemacht?
Buchinger: Gemeinsam mit meinem Mann Mario habe ich das Unternehmen seit 2014 aufgebaut. Er ist promovierter Physiker und bringt – von der Astrophysik und internationalen Unternehmen wie Daimler und Bosch kommend – strategische Impulse in Organisationen und setzt die Projekte auch in die Tat um. Ich bin u. a. für Finanzen, Marketing, aber auch das Thema Nachhaltigkeit zuständig. Besonders intensiv befasse ich mich mit erneuerbaren Energien und der Mobilität der Zukunft. Ich habe Business Management mit dem Fokus auf Süd- und Südosteuropa studiert und ein Masterstudium an der TU Wien für Erneuerbare Energien in Mittel- und Osteuropa absolviert. Einige Jahre habe ich in Deutschland und England gearbeitet und dort erneuerbare Energieprojekte entwickelt. Daher liegt mir das Thema besonders am Herzen.

INARA: Sie praktizieren die Themen Veränderung und Nachhaltigkeit ja als Unternehmen auch selbst. Was hat sich da zuletzt getan?
Buchinger: Wir haben 2019 in der Leutasch ein nachhaltiges Firmen- und Privatgebäude errichtet. Der Fokus lag dabei auf regenerativen Energien und Ressourcenschonung, wir wollten einfach Nachhaltigkeit in die Tat umsetzen. In der Praxis bedeutet das den Einsatz von Photovoltaik, die Nutzung von Erdwärme und Regenwasser, sowie die Verbrauchsoptimierung mit Hilfe einer intelligenten Energiesteuerung. Bereits seit dem Jahr 2016 fahren wir elektrisch. Jetzt haben wir uns die Ermittlung, weitere Reduktion und Kompensation aller CO2-Emissionen des Unternehmens zum Ziel gesetzt. Bis zu unserem zehnjährigen Firmenjubiläum soll die Klimaneutralität aller seit Firmengründung entstandenen Emissionen umgesetzt werden.

INARA: Sie engagieren sich als Unternehmen auch ganz offiziell für diese Ziele …
Buchinger: Ja, wir sind im März 2021 dem UN Global Compact (UNGC), der weltweit größten Initiative für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit, beigetreten. Weltweit bekennen sich derzeit 13.500 Unternehmen und Organisationen zu den Prinzipien, in Österreich sind es aktuell etwa 150. Die Prinzipien umfassen die Bereiche Menschenrechte, Arbeitsnormen, Korruptionsbekämpfung und Umweltschutz. Die Vision des Global Compact ist eine inklusive und nachhaltige Weltwirtschaft.

INARA: Nennen Sie uns doch bitte ein paar Kunden, die die Dienstleistungen Ihres Unternehmens bereits in Anspruch genommen haben.
Buchinger: Zu unseren Kunden zählen neben Industrieunternehmen, in Österreich beispielsweise der Kranhersteller Palfinger oder RHI Magnesita, auch Banken wie etwa die Raiffeisen Bank International und öffentliche Behörden. Wir arbeiten hauptsächlich international und unterstützen derzeit Kunden in sechs europäischen Ländern.

INARA: Beim Weg zur Klimaneutralität sehen Sie den Energiecharta-Vertrag ECT als massives Hindernis. Den kennen nur Eingeweihte. Wie funktioniert dieser Vertrag?
Buchinger: Der Energiecharta Vertrag (Energie Charter Treaty, kurz ECT) besteht seit den 90er-Jahren und wurde weltweit von mehr als 50 Ländern ratifiziert. Der Vertrag sichert private Investitionen im Ausland und soll damit den Investitions- und Technologietransfer im Energiesektor forcieren.

INARA: Das klingt doch gut, was ist daran problematisch?
Buchinger: Der ECT ist einseitig, er hebelt das Grundrecht auf Rechtsstaatlichkeit aus, weil nur Investoren aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten in anderen Mitgliedsstaaten klagen können. Verhandelt wird vor einem privaten Schiedsgericht, das sich am ECT-Vertrag und am Völkerrecht orientiert, damit wird das Europarecht außer Kraft gesetzt. Wenn ein Land austritt, was etwa Italien 2016 gemacht hat, gilt der ECT noch weitere 20 Jahre („Sunset Clause“). Sowohl Italien als auch die Niederlande und Deutschland haben beim Ausstieg aus der küstennahen Öl- und Gasförderung, der Kohle bzw. der Atomkraft riesige Summen zahlen müssen, weil Firmen unter Verweis auf den ECT geklagt haben.

INARA: Wo ist nun konkret das Problem mit dem Klimaschutz?
Buchinger: Wenn ECT-Mitgliedsländer sinnvolle und unbedingt notwendige Schritte gegen die Klimakrise setzen wollen, kann das teuer werden – besonders da der Vertrag noch weitere 20 Jahre gilt. Wird beispielsweise der Ausstieg aus fossilen Energieträgern beschlossen, greift der Vertrag, denn die Investoren können sich auf die bisher geltenden Gesetze und den damit einhergehenden Investitionsschutz berufen. Wie beschrieben gab es dafür bereits Beispiele zulasten der SteuerzahlerInnen. Es ist also zu befürchten, dass der Vertrag dazu verwendet wird, den Status quo fossiler Energiequellen zu schützen bzw. sich den Abschied von den SteuerzahlerInnen „vergolden“ zu lassen. Der Vertrag soll auf Drängen der EU nun modernisiert werden, dafür ist aber Einstimmigkeit nötig. Auch der EuGH beschäftigt sich demnächst mit diesem heiklen Thema, es bleibt also spannend.

INARA: Die Klimakrise ist wegen der Corona-Pandemie über Monate hinweg in den Hintergrund getreten. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Buchinger: Hätten wir die Klimakrise so stringent behandelt wie die Gefahr durch das Corona-Virus, wären wir heute nicht an der Grenze zum Klima-Kollaps. Die Wortwahl ist drastisch, aber sie ist notwendig. Überschwemmungen, Felsstürze und Trockenperioden hat es zwar schon immer gegeben, aber die Dauer, Häufigkeit und Ausprägung haben sich massiv verändert und werden das neue „Normal“.

INARA: Welche Maßnahmen sollten Politiker setzen?
Buchinger: Es braucht rechtliche Rahmenbedingungen wie etwa eine CO2-Steuer. Die ist dringender denn je. Damit würden die negativen Effekte auf die Umwelt, die wir heute meist ausblenden, eingerechnet und wir würden uns der Kostenwahrheit annähern. Lokale Anbieter bekämen damit wieder reale Chancen, Amazon und billige Produkte aus Fernost wären weniger attraktiv.

INARA: Braucht es Zwang oder reicht Überzeugungsarbeit?
Buchinger: Bisher zog es keine Strafen für Unternehmen nach sich, wenn man sich nicht an das Kyoto-Abkommen oder die Pariser Klimaziele gehalten hat, ja es nicht einmal ernsthaft versucht hat. Die Kosten, beispielsweise Strafzahlungen durch das Nichterreichen der Kyoto-Ziele, wurden bzw. werden auf die SteuerzahlerInnen – also Sie und mich – abgewälzt, genauso wie die meisten Kosten der Schäden durch die Klimakrise. Mit Freiwilligkeit kommen wir also nicht weiter. Wichtig ist – das hat man auch bei Corona gesehen – dass die Maßnahmen nachvollziehbar erklärt, oftmals öffentlich wiederholt, überwacht und vor allem eingefordert werden.

Eines möchte ich aber besonders betonen, die Schäden durch die Klimakrise sind wesentlich teurer als die dagegen notwendigen Investitionen. Und was spricht dagegen, beispielsweise die lokale Energieerzeugung, Netzinfrastruktur oder den öffentlichen Verkehr zu stärken? Es werden tausende neue Jobs bei der Errichtung und Instandhaltung geschaffen, damit die lokale Wirtschaft gestärkt und Innovationen vorangetrieben. Österreich hat 2020 7,4 Milliarden Euro für Energieimporte aus dem Ausland gezahlt. Mit dieser Summe kann man viel im eigenen Land umsetzen, damit resilienter gegenüber Marktschwankungen werden, dauerhaft Kosten einsparen und der Klimakrise entgegensteuern.

www.buchingerkuduz.com

Autorin: Brigitta Schwarzer