07 Sep Job-outs fordern Hochschulen
Last Updated on 2023-09-07
sn.at / Michael Roither, 02.09.2023
Immer mehr Menschen beenden ihr Studium aufgrund der guten Arbeitsmarktlage nicht. Die Hochschulen sehen sich damit konfrontiert, genaue Zahlen zu diesen speziellen “Drop-outs” gibt es aber noch nicht.
Hochschulen wollen keine “Drop-outs”, also Menschen, die ein Studium beginnen, aber nicht zu Ende bringen. Im Regelfall aufgrund von fehlender Leistung oder irgendwann mangelndem Interesse, manchmal auch aus taktischen Gründen – zum Beispiel Studien, die nie mit dem konkreten Ziel des Abschlusses begonnen wurden. So oder so belasten sie das Bildungssystem, da quasi reservierte Plätze (und somit Ressourcen) nicht von Bildungserfolgen gekrönt werden, was wiederum volkswirtschaftlich wenig Wert stiftet. Oder, im Falle von Studienplatzfinanzierungen, auch negative wirtschaftliche Folgen für Hochschulen bedeutet.
Das “Job-out” ist ein “Drop-out” der besonderen Art
Nicht Unlust oder fehlende Leistung sind hier das Problem, sondern schlichtweg ein Arbeitsmarkt, der so dringend Fachkräfte sucht – und diese in vielen Fällen auch gut bezahlt -dass das Hinarbeiten auf den Studienabschluss nicht notwendig bis wenig attraktiv erscheint im Verhältnis zur attraktiven Jobperspektive. In der IT und anderen technischen Studien sind “Job-outs” schon seit Jahren ein Thema für Hochschulen, nun greift das einstige Phänomen auch in anderen Bereichen um sich.
“Es stimmt, dass in konjunkturell besseren Zeiten, die Drop-outs leicht ansteigen, aber auch die Anfängerzahlen leicht abnehmen”, sagt Kurt Koleznik, Generalsekretär der Österreichischen Fachhochschulkonferenz (FHK). Heute komme noch dazu, dass junge Studierende mit einer vielversprechenden Idee auch eher den Sprung in die Selbstständigkeit – Stichwort Start-up – wagten. Dennoch seien die Drop-out-Zahlen im FH-Sektor über die Jahre sehr stabil. Wie viele der Drop-outs auch Job-outs sind, wird im Detail noch nicht untersucht.
Dies ist auch an den Universitäten noch nicht der Fall. Astrid Reichel, Professorin für Human Resource Management an der Universität Salzburg, berichtet stattdessen aus ihrem Berufsalltag: “Der allergrößte Teil der Studierenden arbeitet neben dem Studium bereits – davon sehr viele in einschlägigen Bereichen. Dennoch absolvieren die meisten zielstrebig die Kurse und zugehörigen Prüfungen. Ich habe allerdings den Eindruck, dass der letzte Teil des Studiums – das eigenständige Verfassen der Masterarbeit – eine kritische Phase darstellt. Hier sehe ich oft, dass der Job an Wichtigkeit zunimmt, sich das Verfassen der wissenschaftlichen Arbeit in die Länge zieht und manche schließlich ganz darauf verzichten, diese für den Abschluss des Studiums nötige Teilleistung zu erledigen.”
Job-outs bringen studienplatzfinanzierte Hochschulen in Bedrängnis
Die Hochschulen sind zunehmend studienplatzfinanziert, manche, wie die Fachhochschulen in Österreich, praktisch ganz. Job-outs bringen diese potenziell in Bedrängnis, auch wenn die Lage an den FHs derzeit in dieser Hinsicht noch nicht problematisch ist. “In der Studienplatzfinanzierung wird der Drop-out bis zu einem gewissen Grad mitberücksichtigt”, betont Kurt Koleznik. “Was uns derzeit mehr in Bedrängnis bringt, ist dem Umstand geschuldet, dass von der Politik verabsäumt wurde, den Fördersatz pro Studienplatz mit einer Wertsicherung zu versehen. Daher lautet auch unsere dringende Forderung, ab 1. 1. 24 eine Inflationsabgeltung in der Höhe von mindestens zehn Prozent bereitzustellen. In Zukunft braucht es eine verbindliche Zusage für eine jährliche Valorisierung, um die Qualität auch erhalten zu können.”
An den Unis stellt sich die Situation etwas anders dar. “Der wichtigste Teil in der Finanzierung sind die prüfungsaktiven Studierenden”, betont Astrid Reichel. “Das sind jene, die mindestens 16 ECTS pro Studienjahr absolvieren – besonders prüfungsaktive (ab 40 ECTS pro Studienjahr) bringen den Universitäten noch etwas höhere monetäre Zuweisungen. Studierende, die regelmäßig positive Prüfungen ablegen und die dann aufgrund eines guten Jobangebots ohne Abschluss das Studium beenden, um in den Arbeitsmarkt zu wechseln, sind also diesbezüglich weniger ein Problem als jene, die keine klare Entscheidung für den Job und (vorerst) gegen den Studienabschluss treffen.” Die meisten Lehrenden an der Uni Salzburg seien sehr um die Studierenden bemüht, es sei dann sehr schade, wenn man in die Studierenden investiere, ihnen entgegenkomme und dennoch die Prüfungen oder Abschlussarbeiten nicht absolviert würden.
Job-outs: Gefahr der Deprofessionalisierung durch Druck am Arbeitsmarkt
Eine Gefahr der “Job-outs” könnte mittelfristig auch eine Deprofessionalisierung oder zumindest ein Qualitätsrückbau in verschiedenen Berufen sein. Inwiefern es durch den Fachkräftemangel zu einer Herabsetzung der Anforderungen am Arbeitsmarkt komme, will FHK-Generalsekretär Koleznik nicht beurteilen, er ist diesbezüglich aber skeptisch. “Im Gewerbe und in der Dienstleistung wäre eine solche Vorgehensweise fatal. Und auch in Hinblick auf Zeiten mit weniger guten Jobperspektiven kann ich einem jungen Menschen nur empfehlen, sein Studium auch zu beenden. Gerade Fachhochschulen bieten die Möglichkeit, berufsbegleitend zu studieren, sodass sich Job und Studium gut kombinieren lassen. Ein abgeschlossenes Studium bedeutet noch keine Jobgarantie, aber es stellt erstens ein anerkanntes Zeugnis für inhaltliche Qualität dar und zweitens zeugt es von Durchhaltevermögen.”
HR-Professorin Reichel sieht die Situation kritischer. Arbeitgeber/-innen hätten nach wie vor Interesse an abgeschlossenen Ausbildungen, aber: “Herrscht ein Mangel an Arbeitskräften in einem Bereich, werden die Ansprüche von Arbeitgeber/-innenseite heruntergeschraubt. Berufe, die einen hohen Grad an professioneller Schließung aufweisen, weil starke Berufsverbände und rechtliche Regelungen dafür sorgen, dass nur Personen mit vordefinierten Abschlüssen in dieser Profession arbeiten dürfen (z.B. Ärzte/-innen, Richter/-innen), müssen – zumindest kurzfristig – Deprofessionalisierung weniger fürchten. Wenn allerdings der Druck am Arbeitsmarkt groß genug ist, geht es ja mitunter so weit, dass nicht nur Leute mit einem zum Großteil absolvierten einschlägigen Studium, sondern auch Personen aus völlig anderen Bereichen eingestellt werden – siehe Quereinsteiger/-innenprogramme in den Lehrer/-innenberuf. Hier sehe ich schon die Gefahr der Deprofessionalisierung.”