Kann die Frauenquote die „gläserne Decke“ durchschlagen?

Kann die Frauenquote die „gläserne Decke“ durchschlagen?

Last Updated on 2019-11-29

Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Andrea Weber über die Wirkung der Frauenquote.

Über die letzten Jahrzehnte hat sich die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt stark an die der Männer angeglichen. Im Jahr 2017 machten Frauen 45.8% der Erwerbspersonen in der EU aus. Aber Frauen sind viel häufiger in den unteren Einkommensregionen beschäftigt als Männer und je höher man in der Einkommensverteilung aufsteigt, desto rarer werden Frauen. Besonders in den Top-Einkommenspositionen und auf höheren Leitungsebenen scheint eine „gläserne Decke“ Frauen am Aufstieg zu hindern.

Quotenregeln haben sich als eine beliebte Maßnahme erwiesen, um dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit auf allen Einkommensebenen näherzukommen. Die Quoten beziehen sich typischerweise auf einen Mindestanteil an Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen. Norwegen war 2003 das erste Land, das ein entsprechendes Gesetz mit einer 40-Prozent-Quote verabschiedete. Seitdem sind Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Island, Italien, Deutschland, die Niederlande und Spanien dem norwegischen Beispiel gefolgt und haben ähnliche verpflichtende Vorschriften oder Empfehlungen erlassen. In Österreich wurde 2018 ein Mindestanteil von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen in das Gleichstellungsgesetz aufgenommen.

Die Quotengesetze sind in der Regel sehr erfolgreich bei der Erhöhung der Anzahl weiblicher Mitglieder in Unternehmensleitungen. Bis 2017 stieg die weibliche Vorstandsmitgliedschaft in großen börsennotierten Unternehmen in der EU auf durchschnittlich 25 Prozent, gegenüber nur zwölf Prozent im Jahr 2010. Aufsichtsratsposten in quotenpflichtigen Unternehmen stellen jedoch nur einen kleinen Teil der gesamten Leitungsfunktionen dar. Daher stellt sich die Frage, ob weiblichere Gremien auch Auswirkungen auf Karrieren von Frauen außerhalb der Aufsichtsräte oder sogar auf Frauen in nicht quotenpflichtigen Unternehmen haben.

Eine neue empirische Studie untersucht am Beispiel Italiens, wo die Quote seit 2012 gilt, ob der höhere Frauenanteil in den Aufsichtsräten auf niedrigere Leitungspositionen oder sogar bis zu den übrigen weiblichen Beschäftigten in quotenpflichtigen Unternehmen durchsickert. Die Antwort ist negativ: Obwohl der Frauenanteil in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen innerhalb weniger Jahre von knapp sechs Prozent auf 33 Prozent ansteigt, kann die Frauenquote die gläserne Decke nicht durchschlagen. Die Studie untersucht die Entwicklung des Anteils von Frauen in Managementpositionen und in den höheren Einkommenskategorien und vergleicht dabei börsennotierte Unternehmen mit von der Quotenpflicht ausgenommenen Unternehmen. Bei keiner dieser Variablen beobachtet man einen Anstieg unter den quotenpflichtigen Unternehmen in den Jahren nach der Einführung der Quote. Auch ein Durchsickern auf den Frauenanteil in Positionen in den unteren Hierarchieebenen scheint nicht stattzufinden. Zudem gibt es keine Belege dafür, dass die Aufsichtsräte in nicht börsennotierten Unternehmen ihren Frauenanteil über die Zeit verändern, sondern er bleibt auf konstant niedrigem Niveau.

Die Auswirkungen der Frauenquote auf die Karrieren von Frauen in quotenpflichtigen Unternehmen in Italien sind im Einklang mit früheren Ergebnissen für Norwegen. Auch dort hat die stärkere Vertretung von Frauen in Aufsichtsräten keine sichtbaren Effekte auf andere Frauen in den Unternehmen. Allerdings ist die Unternehmenskultur in Italien viel traditioneller geprägt als im egalitären Norwegen. Die Hypothese, dass Frauenquoten bei hoher Geschlechterungleichheit ein stärkeres Signal setzten, hat sich aber nicht bestätigt.

Insgesamt lässt sich aus der empirischen Literatur zu den Wirkungen der Frauenquote in Aufsichtsräten folgern, dass diese Maßnahmen zwar nicht schaden, aber kurzfristig auch wenig verbessern. Um die Geschlechterungleichheit wirksam zu verringern, bedarf es möglicherweise auch Förderungen von „unten“, wie etwa bessere Kinderbetreuung, Jobsharing-Möglichkeiten oder frauenfreundlichere Bewerbungs- und Einstellungsprozesse.

Andrea Weber ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Central European University in Budapest, Gastprofessorin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Konsulentin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wien. Ihre primären Forschungsgebiete sind Arbeitsmarktökonomie und angewandte Mikroökonometrie.

Quelle / ganzer Bericht: diePresse.com vom 18. November 2019, Andrea Weber