Krank oder „nur“ erschöpft?

Krank oder „nur“ erschöpft?

Last Updated on 2024-01-29
Mag. Manfred Kainz

Was ist bloß mit Deutschland los? Verfolgt man die News aus unserem großen Nachbarland, der größten Volkswirtschaft Europas, so tut man sich aktuell mit dem Optimismus schwer. Und so kam bei einem Arbeitsbesuch von Marcus Poppe und Sabrina Reeh in Wien auch die Frage „Deutschland – Der kranke Mann Europas?“ zur Sprache. Die beiden kennen den Markt aus nächster Nähe, sind sie doch erfahrene Manager von Flaggschifffonds der DWS Group, Frankfurt (s.u. *). Poppe ist dort weiters Co-Head European Equities.

Schlechtes Klima

Was den „kranken Mann Europas“ betrifft, plädierten die beiden Deutschen eher für die Formulierung „Nicht krank, aber erschöpft“. Mit einer nur sehr langsamen Erholung ist zu rechnen. Man ist vom Musterschüler zum Sitzenbleiber geworden. Deutschland ist recht gut durch die Pandemie gekommen. Seither jedoch ist der Normalisierungsprozess ins Stocken geraten und Deutschland zählt wirtschaftlich zu den Nachzüglern. Die deutsche Industrie fällt zurück. Der Aufschwung nach der Pandemie ist zweimal empfindlich getroffen worden: Zunächst durch die globalen Lieferkettenprobleme und danach durch die explodierenden (Gas-)Preise. Beim Geschäftsklima ist die Stimmung schlecht, wie etwa der Ifo Index zeigt. Auch das Investitionsklima in Deutschland hat schon bessere Tage gesehen. Eine Stabilisierung ist schon mal gut. So re-investieren deutsche Unternehmen etwa in China und machen dort Cash flow. Und Deutschlands Exporte insgesamt wuchsen seit 2021, jüngst gab es allerdings wieder eine Abschwächung.

Auto mobil

Was die Investmentsektoren betrifft, ist etwa im DAX 40 Prime All Share Index die Automobilindustrie sowohl bei Umsatzerlösen als auch bei den Gewinnen dominant. Die Chemieindustrie macht hingegen nur mehr sechs Prozent der Umsatzerlöse und nur mehr vier Prozent der Gewinne aus. Die Autoindustrie steht aber vor großen strukturellen Herausforderungen, Stichwort Asien. So manche Finanzmarktteilnehmer glauben den deutschen Herstellern nicht, dass sie die Margen halten können. Der „Honeymoon“ der Elektrifizierung ist vorbei, jetzt kommt die breite Masse, jetzt kommt der „harte Teil“. Die Automotive-Branche hat massiv investiert, jetzt braucht es Nachfrage. Hoffnung auf so einen Boom macht (Stichwort EU-Vorgaben) der Rückgang der „Verbrenner“.

Werte & ESG

Was die deutschen Unternehmensbewertungen insgesamt betrifft, ist das KGV im DAX 40 historisch günstig. Wobei Bewertung allein nichts aussagt. Nur auf („günstige“) Bewertung zu setzen ist ein gefährliches Spiel. Denn je zyklischer Unternehmen sind, desto höher müssen die Gewinnerwartungen sein. Und das unter herausfordernden Rahmenbedingungen: So sind beispielsweise die Energiepreise in Deutschland viermal höher als in Übersee.

Und zum wichtig gewordenen ESG: Das Thema ist noch „jung“ und nun in der Phase „Was ist realistisch und was ist (nicht) umsetzbar?“ Die deutschen Unternehmen und Investoren sind sehr interessiert und stecken viel „Manpower“ hinein.

*) Der 3,4 Milliarden Euro schwere DWS Investa wurde bereits 1956 aufgelegt und hat mit deutschen Blue Chips seitdem im Durchschnitt 8,9 Prozent Rendite pro Jahr erzielt. Der Fonds wird inzwischen nach ESG-Kriterien von Sabrina Reeh gemanagt. Marcus Poppe verwaltet den Aktienfonds DWS Deutschland mit einem Volumen von 3,3 Milliarden Euro, der neben Blue Chips auch Small und Mid Caps beimischt. Poppe ist bei DWS auch Leiter für europäische Aktien-Investments (https://funds.dws.com/de-at/aktienfonds/de0008474008-dws-esg-investa-ld/)