Künstliche Intelligenz: Fluch oder Segen?

Künstliche Intelligenz: Fluch oder Segen?

Last Updated on 2023-02-02
Dr. Christine Domforth

Die Sprachsoftware ChatGPT zeigt gerade einer breiten Öffentlichkeit, was mit Künstlicher Intelligenz (KI) alles möglich ist. Sie hat das Potenzial, unsere Arbeitswelt, unsere Gesellschaft, unseren Alltag zu revolutionieren. Die mit dem Einsatz von KI verbundenen Gefahren dürfen dabei aber nicht ausgeblendet werden.

Er schreibt auf Kommando Hausaufgaben, Zeitungsartikel, Bewerbungsschreiben, Verträge, Liebesbriefe, Gedichte – wahlweise im Stil von Goethe, Rilke etc. – oder ganze Romane zu jedem gewünschten Thema: ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) ist ein Chatbot, der auf Basis von Fragen und Aufgabenstellungen ausgereifte Texte erstellt. Präsentiert wurde der vom kalifornischen IT-Unternehmen OpenAI entwickelte Textgenerator im November 2022, nach wenigen Wochen hatte er weltweit bereits mehrere Millionen Nutzer. Derzeit kann das Tool, das OpenAI-Boss Sam Altmann scherzhaft als „E-Bike für den Verstand“ bezeichnet, noch kostenlos genutzt werden. Für die Bezahlversion, die voraussichtlich rund 40 Dollar monatlich kosten dürfte, laufen die Anmeldungen bereits auf Hochtouren, auch Werbung wird es dort wohl bald geben.

Die IT-Giganten sehen in ChatGPT offenbar ein tragfähiges Geschäftsmodell. Hinter seiner Entwicklung standen immerhin Elon Musk und Microsoft. Microsoft will demnächst weitere zehn Milliarden Dollar investieren. Und bei Google wurde wegen des neuen Konkurrenten Alarmstufe rot ausgerufen, man will nun bei eigenen KI-Tools kräftig Gas geben. Europa ist hier leider ebenso wie schon bei der Entwicklung von Smartphones, Social Media etc. nur in der Zuschauerrolle.

Herausforderung für das Bildungswesen

Wie findige Schüler schnell herausfanden, erspart ChatGPT das lästige Schreiben von Hausaufgaben. Das Tool verfasst in Windeseile zu jedem beliebigen Thema Texte, die von selbst erstellten nicht zu unterscheiden sind. Das Schul- und Bildungswesen – von der Pflichtschule bis zu den Universitäten – ist von der neuen Technologie am unmittelbarsten betroffen, man beschäftigt sich dort bereits intensiv damit. Verbote werden wohl keine Lösung sein, zumal die Schüler später in ihrem Beruf KI-Chatbots ebenfalls nutzen werden. Man muss vielmehr durch die Fragestellung sicherstellen, dass nicht der Textgenerator, sondern der Schüler oder Studierende selbst die Aufgabe löst. Daher werden mündliche Beurteilungen in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Natürlich hat ChatGPT auch seine Schwachstellen und ist nicht absolut zuverlässig. Derzeit ist das System nicht tagesaktuell, es wies vor kurzem beispielsweise noch Sebastian Kurz als österreichischen Bundeskanzler und Olaf Scholz als deutschen Finanzminister aus. Doch das Tool wird laufend mit neuen Daten gefüttert, lernt also ständig dazu. Wegen schlechter Datenqualität sind manche Texte fehlerhaft. ChatGPT hat nicht nur gelegentlich „Daten-Halluzinationen“, sondern auch Vorurteile. Solche Bias, die können beispielsweise rassistisch oder sexistisch sein, werden schrittweise ausgemerzt, wofür OpenAI dem Vernehmen billige Arbeitskräfte in Kenia einsetzt. Kritisiert werden auch die fehlenden Quellenangaben.

Mit ChatGPT, das in der Anwendung extrem einfach ist, rückt die KI endgültig in den Fokus der breiten Öffentlichkeit. KI bedeutet, menschliches Lernen und Denken auf den Computer zu übertragen und diesem damit eine Form von Intelligenz zu verleihen. Die KI soll also eigenständige Antworten finden, selbständig Probleme lösen und auch bisher unbekannte Situationen meistern.

Neu ist die KI nicht, die ersten Versuche reichen mehr als 70 Jahre zurück. Die erste aufsehenerregende Anwendung war 1997 der IBM-Schachcomputer Deep Blue, der in einem Turnier den damals amtierenden Schachweltmeister Kasparov besiegte. Danach wurde es wieder längere Zeit still um die KI. Durch die viel größere Rechenleistung, über die Computer heute verfügen, kam die Entwicklung wieder in Schwung.

Schon heute vielfach angewendet

Bereits heute ist KI vielfach im Einsatz: Digitale Sprachassistenten wie Siri oder Alexa funktionieren ebenso damit wie Gesichtserkennung, Suchmaschinen, Smart Home, Staubsaugerroboter, diverse medizinische Diagnoseverfahren oder das bereits im Testbetrieb befindliche autonome Fahren von Autos. Onlinehändler wie Amazon verwenden KI im großen Stil für personalisierte Werbung, ebenso basieren diverse Übersetzungsprogramme darauf.

Die Einsatzgebiete der KI sind vielfältig und vor allem dort zu finden, wo es um riesige Datenmengen geht. Die Medizin wird sie künftig im Bereich der Krebsdiagnostik oder bei der Entwicklung neuer Medikamente ebenso revolutionieren wie die Arbeit von Anwälten. Die müssen nicht mehr mühsam Gesetze, Akten und Präzedenzfälle studieren, Verträge können auf Knopfdruck erstellt werden. Marketing, Produktdesign, Prozesssteuerung, Logistik, Qualitätskontrolle sind nur einige der weiteren Anwendungsbereiche. Dass KI für wissenschaftliche Arbeiten eingesetzt wird, liegt nahe und wird künftig jede Menge an Problemen aufwerfen, weil Plagiatssoftware hier nicht „anschlägt“. KI könnte auch die Kultur revolutionieren, weil sie täuschend echte Kunstwerke produzieren kann, die selbst Fachleute nicht als „fake“ erkennen.

Generell dürften durch KI manche Berufe oder ganze Berufsgruppen wegfallen oder an Bedeutung verlieren. Das war ja auch in der Vergangenheit der Fall, Bahngesellschaften beschäftigen heute keine Heizer mehr wie noch zu Zeiten der Dampf-Loks und durch die Motorisierung ging die Zahl der Hufschmiede deutlich zurück. Vor allem monotone Routinetätigkeiten wird wohl die KI übernehmen. Andererseits werden durch die KI auch neue Arbeitsplätze entstehen und zwar vor allem in der Entwicklung weiterer Anwendungen sowie in der so wichtigen Kontrolle und Überwachung der komplexen Systeme.

Rechtliche und ethische Fragen offen

Rechtlich und ethisch sind noch viele Fragen im Zusammenhang mit KI ungelöst, die EU arbeitet derzeit an einer Regulierung. Weil ChatGPT und der ähnlich funktionierende Bildgenerator DALL-E, der den Bereich Kunst und Kultur verändern könnte, auf bestehende Daten und Werke zurückgreift, wird es vor allem im Bereich Urheberrecht massiven Handlungsbedarf geben. Auch komplexe Haftungsfragen müssen gelöst werden.

Ein Problem der KI ist die enorme Rechenleistungen, die dafür nötig ist und die einen riesigen Energiebedarf verursacht. Ärmeren Ländern droht hier Diskriminierung, massiver Einsatz von KI dürfte auch die Klimakrise verschärfen. Und echt gefährlich wird es dann, wenn Terroristen oder Kriminelle diese Technologie missbrauchen oder autoritäre Regime wie China sie für Hackerangriffe oder für die totale Kontrolle und Überwachung ihrer Bürger einsetzen.

Wo der Mensch die Nase vorn hat

Betrug hat es in der Geschichte immer gegeben, fakes aller Arten werden aber mit KI massiv zunehmen und man wird sie noch schwerer erkennen können. In einem bestimmten Bereich „uniqe“ zu sein wird künftig noch wichtiger als bisher. Ganz entscheidend sind in Zukunft Ideen, Kreativität und Phantasie, dabei ist der Mensch nämlich der KI überlegen. Über emotionale und soziale Intelligenz verfügen nur wir Menschen, nicht aber die KI, die auch (noch?) kein Bewusstsein hat.

Wie sich KI langfristig auf die zwischenmenschliche Kommunikation auswirken wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Hoffentlich werden dadurch die Menschen nicht noch einsamer als es bereits heute vielfach der Fall. Vor allem ältere Menschen könnten davon betroffen sein.

Die KI bringt also wie jede hochkomplexe Technologie sowohl Chancen als auch Risken mit sich. Wie wir schon bei der Industrialisierung, der Kernspaltung oder dem Siegeszug von Facebook, Tik Tok & Co. erfahren haben, lässt sich die menschliche Entwicklung nicht aufhalten, es gilt vielmehr, sich ihr zu stellen. Verbieten wird nur bei schweren ethischen Bedenken Sinn machen.

In wenigen Jahren wird die KI weite Teile der Arbeitswelt, der Gesellschaft sowie unseres Alltags prägen. Wir alle werden sie anwenden und müssen versuchen, das Beste daraus zu machen. Vielleicht kann uns die KI ja sogar beflügeln, natürlich nur dann, wenn damit verantwortungsvoll umgegangen wird. Sonst könnte der britische Physiker Stephen Hawking Recht behalten, der bereits vor einigen Jahren davor warnte, dass durch die KI bzw. deren Missbrauch das Ende der Menschheit eingeleitet werden könnte.