Managementphilosoph: „Holt euch jetzt die schrägen Vögel”

Managementphilosoph: „Holt euch jetzt die schrägen Vögel”

Last Updated on 2020-09-29
Wie gehen Innovation und Kreativität in einer Ökonomie mit Abstand? Harald Katzmair (FASresearch) appelliert an Personalmanager und warnt vor vier aktuellen Fallen

Der renommierte Jahreskongress der heimischen Personalchefs PoP – Power of People hat vor wenigen Tagen analog stattgefunden. Vor sieben Monaten wäre das eine Nullmeldung gewesen – jetzt ist das etwas Besonderes. Human Resources als Retter in der Krise mit Fragezeichen und Rufzeichen war das Motto des Branchentreffs (Veranstalter: Business Circle) im burgenländischen Frauenkirchen. Ratlosigkeit und Erstarrung, Angst und Ungewissheit waren nicht das tragende Moment der Vorträge und Workshops, ganz im Gegenteil.

Harald Katzmair, Gründer und Leiter von FASresearch, antwortete auf die alle beschäftigende Frage „Wie sind Innovation und Kreativität in einer kontaktfreien Ökonomie möglich?” klar und deutlich: „Holt euch jetzt die schrägen Vögel, wir brauchen jetzt die Misfits, die Mavericks, die Abenteurer aus der Peripherie der Organisation”, schallte es als Auftrag an die versammelten Personalverantwortlichen in den Konferenzraum.

Nachahmen herrscht vor

Katzmairs Beobachtung und Kritik: Es herrsche gegenwärtig ein „mimetischer Druck” der Digitalisierung, es habe sich eine stereotype Vorstellung von Digitalisierungsschub entwickelt, die Nachahmung und Schablonen hervorbringe. Wer kennt das nicht im Raum? Die Segnungen des Digitalisierungsschubs, die eigentlich hauptsächlich nur Zoom, Teams und lange Videovorträge sind. „Damit verlieren wir unsere Eigenheit”, so Katzmair. Die Anwesenden fühlen sich erlöst wie auch ertappt – wo ist es nicht so? Und was wollen alle? Zuversicht gewinnen und sich aufmachen, aufbrechen in diese neue Zeit.

Das benötigt natürlich auch die Organisation – noch nie war der Innovationsdruck so vielfältig und so groß. Da Unternehmen aus Individuen bestehen, greift Katzmair sich zunächst diese: Aufbruch beinhalte Bruch, das lasse sich nun einmal nicht vermeiden. Zuversicht entstehe dort, wo ein gemeinsamer Richtungssinn ist, anhand dessen Weiterentwicklung ermöglicht wird. Individuell bedeute das, sich niemals mit anderen zu vergleichen, wie Social Media das verlangen, sondern nur mit seinem Selbst von gestern. Daran seien Veränderung und Fortschritt festzumachen, und nur daran. Es gehe jetzt um die Entwicklung der eigenen Kriterien – als Innovation.

Wie es in Organisationen, mit vielfachen Konsequenzen zur Vereinzelung ihrer Menschen gezwungen, gelingen kann, die jeweilige Innovationsschiene auf allen Ebenen zu finden, dafür liefert er kein „vorgekochtes“ Rezept. Allerdings zeigt er vier Fallen auf, die es zu vermeiden gelte: Zunächst wäre da die Nostalgiefalle. Diese charakterisiert der Wunsch, alles möge möglichst bald so werden wie es vorher war. Trotz des Wissens, dass jetzt so gut wie alles anders zu machen ist. „Nostalgie ist keine Charakterschwäche”, so Katzmair, wenn man sich ihr allerdings allzu lange hingebe, werde es fatal. Denn das verunmögliche jedweden Fortschritt.

Dann will noch die Vagabundenfalle zuschnappen. Das tut sie, wenn viele neue Ideen irgendwie gestartet werden und nichts auf den Punkt kommen kann. Die Armutsfalle beschreibt die große Gefahr, dass alle Innovationen aus „Ressourcenmangel” – vulgo Geld – nicht umgesetzt werden. Die Erstarrungsfalle wiederum schnappt zu, sagt Katzmair, wenn Organisationen nicht loslassen können vom alten Regelwerk, von den bisherigen Erfolgsregeln. Dann tritt rasender Stillstand ein – wie sich das anfühlt, wissen scheint’s auch sehr viele im Raum.

Es geht um das Lagebild

Die gute Nachricht: Katzmair ist keiner, der die Trommel der Zukunftsexegese rührt. Im Gegenteil: Er ruft dazu auf, sich vom verzweifelten Blick in die Zukunft abzukehren und ins Hier und Jetzt zu schauen. Denn daraus ergebe sich Richtungssinn – mehr brauche es jetzt nicht, mehr ist vermutlich auch nicht möglich. Dabei könne man sich vom Militär viel abschauen. Dort könne man das in Krisen, nämlich ein gemeinsames Lagebild erstellen, im Hier und Jetzt. Das sei kein „Fahren auf Sicht”, wie es oft so schön heißt, sondern der Ausgangspunkt für alles Künftige.

Und noch zu den Ohnmachtsgefühlen: Klar, die Karten werden jetzt neu gemischt, zum Guten oder zum Schlechten. Und Menschen stecken in dunklen Ängsten – von der Angst vor dem Monatsende am Konto über Todesangst durch Corona bis zur Angst vor dem Weltenende wegen der Klimakrise. Vieles gehe ja auch tatsächlich zu Ende. Aber: Am Beispiel Produktlebenszyklus sei zu ersehen, dass ein Ende immer das Momentum des Neubeginns bereithalte.

Harald Katzmair, CEO von FASresearch, ist Sozialwissenschafter, Managementphilosoph und Unternehmer.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000120257609/managementphilosoph-holt-euch-jetzt-die-schraegen-voegel