Maria Theresia als Impf-Pionierin

Maria Theresia als Impf-Pionierin

Last Updated on 2021-11-07
Dr. Christine Domforth

Als bisher einzige Infektionskrankheit sind die Pocken heute praktisch ausgerottet. Diese medizinische Erfolgsgeschichte basiert auf einer beispiellosen weltweiten Impfkampagne. Schon vor rund 250 Jahren engagierte sich die österreichische Herrscherin Maria Theresia persönlich für die Pockenimpfung.

Seit Jahrtausenden gab es weltweit immer wieder Pockenepidemien, die Millionen von Opfern forderten. Im Schnitt starben ein Drittel der von der hochansteckenden Krankheit Befallenen. Unter Kindern war die Todesrate noch höher. Auch Herrscher infizierten sich, u.a. starben der französische König Ludwig XV. und der russische Zar Peter II. an den Pocken. Wer die vom Variola-Virus hervorgerufene und durch einfache Tröpfcheninfektion übertragene Krankheit überlebte – dazu zählten u.a. Mozart, Beethoven, Goethe oder der französische König Ludwig XIV. – war zwar lebenslang immun dagegen, blieb aber durch hässlichen Narben gezeichnet. Manche Patienten erblindeten durch die Pocken oder wurden taub, auch Lähmungen kamen vor.

Diverse Versuche, Menschen mit Pockensekret leicht Erkrankter zu immunisieren, gab es bereits vor Jahrhunderten in Indien, China und Zentralafrika. In Europa fand die Inokulation – so die Bezeichnung für dieses Verfahren – erstmals im 18. Jahrhundert breitere Anwendung. Und Maria Theresia, die österreichische Herrscherin, hatte daran maßgeblichen Anteil. Man könnte sie sogar als echte Impf-Pionierin bezeichnen.

Auch Habsburger wurden Pocken-Opfer

Die Habsburgerin war von den immer wieder grassierenden Pocken gleich mehrfach betroffen. Drei ihrer eigenen Kinder und zwei ihrer Schwiegertöchter verstarben daran. Eine weitere Tochter wurde durch die Pocken derart entstellt, dass die Heiratspläne, die die Monarchin für sie hatte, obsolet wurden. Auch Maria Theresia selbst erkrankte im Alter von 50 Jahren, überlebte aber knapp. Sie blieb von Pockennarben gezeichnet, weshalb in der Hofburg alle Spiegel verhängt wurden. Auch ihr Sohn, Joseph II, überstand die Krankheit. Die Pocken waren also eine direkte Gefahr für die Familie Habsburg. Die immer wieder auftretenden Epidemien schwächten aber auch den Arbeitsmarkt und die Armee des Reiches.

Alle europäischen Herrscherhäuser – von England, über Frankreich und Preußen bis nach Russland – bangten wegen der Pocken um ihre Thronfolger und damit den Fortbestand der Dynastien. Ein Heilmittel gab und gibt es nicht, deshalb sah man in dem für Europa damals noch neuen Verfahren der Pockenimpfung einen Ausweg aus dem Dilemma. Auch Maria Theresia, die sich brieflich mit Ärzten, aber auch anderen Herrscherhäusern über das Thema austauschte, setzte schließlich auf die Inokulation oder Variolation. Dabei wird die Haut aufgeritzt und darin das Pustel-Sekret Erkrankter eingebracht, um die Geimpften dadurch zu immunisieren. Die Wirksamkeit der Methode, die nicht unumstritten war, wurde auf Anordnung Maria Theresias zunächst an 100 Waisenkindern getestet – von modernen Zulassungsverfahren war damals noch keine Rede. Erst danach ließ Maria Theresias vier ihrer Kinder und eine Enkelin immunisieren und das trotz der bei dieser Methode häufig auftretenden schweren Nebenwirkungen. Die Kaiserin (so nennt man sie aufgrund ihrer Ehe mit Kaiser Franz Stephan von Lothringen) ließ anschließend ein Inokulationshaus am Rennweg in Wien errichten, wo sich die Bevölkerung kostenlos impfen lassen konnte.

Neues Verfahren mit Kuhpocken-Sekret

1798 kam es zu einer entscheidenden Verbesserung: Der Engländer Edward Jenner entdeckte, dass auch eine Impfung mit dem relativ harmlosen Kuhpocken-Sekret vor den „echten“ Pocken schützt. Der Ausdruck Vakzination leitet sich auf dem lateinischen Begriff „vacca“ für Kuh ab. Diese neue Form der Immunisierung war weit besser verträglich und setzte sich bald auf breiter Basis durch. Allmählich verloren die Pocken deshalb ihren Schrecken.

Gefördert wurde die Impfbereitschaft der Bevölkerung etwa durch Pfarrer, die von der Kanzel herab predigten, wie wichtig die Impfungen seien. Eine Impfpflicht gab es damals im Habsburgerreich nicht, wohl aber einen indirekten Impfzwang, weil für den Eintritt in die Schule, in die Armee, in ein Kloster oder für den Erhalt eines Stipendiums eine Vakzination erforderlich war. Teilweise wurden an die Impfwilligen auch Geldprämien ausbezahlt.

Impfskepsis und Verschwörungstheorien sind nicht neu

Impfskeptiker gibt es nicht erst seit Corona, sie waren schon im 18. Jahrhundert zu finden und zwar unter Philosophen, Geistlichen, ja sogar unter Ärzten. Die Impfung sei ein Eingriff in den Körper und von Gott nicht gewollt, so die Argumentation. Auch Maria Theresias Leibarzt, Gerard van Swieten, dachte so. Der Philosoph Immanuel Kant warnte im Zusammenhang mit der Vakzination gar vor der Einimpfung „tierischer Brutalität“. Auch antisemitische Verschwörungstheorien kursierten schon damals, demnach sei Impfen ein reiner Aberglaube und würde von jüdischen Ärzten zum Zweck der Selbstbereicherung praktiziert. Und die aufständischen Tiroler rund um Andreas Hofer hatten gar Angst, ihnen werde mit der Pockenimpfung gleichzeitig der Protestantismus eingeimpft.

Impfpflicht 1939 bis 1980

Während zahlreiche Länder nach und nach die Pockenimpfpflicht einführten, lehnte man diese in Österreich ab. Bei der Freiwilligkeit blieb es hierzulande – wo die Impfskepsis schon immer groß war – bis zum Jahr 1939, als die deutschen Vorschriften zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten auch in der „Ostmark“ eingeführt wurden. 1948 wurde die verpflichtende Pockenimpfung dann in einem österreichischen Gesetz festgeschrieben, Generationen von Kindern wurden also noch in der Nachkriegszeit zwangsweise geimpft. Erst im Jahr 1980 wurde die Impfpflicht endgültig abgeschafft.

Durch ein bis dahin bespielloses und weltweit ausgerolltes Impfprogramme war es gelungen, die einst so gefürchtete Krankheit nach und nach auszurotten. Der letzte Fall in Österreich trat 1923 auf, weltweit wurde letztmals im Jahr 1977 aus Somalia eine Pockenerkrankung gemeldet. 1979 konnte dann die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Welt endgültig für pockenfrei erklären. Das ist bisher bei keiner anderen Infektionskrankheit gelungen. Pockenviren – und zwar tiefgefroren – existieren heute nur noch in zwei Forschungslaboren, einem in den USA und einem in Russland.