„Mein Learning aus Wirecard: Den Aufsichtsrat stärken!“

„Mein Learning aus Wirecard: Den Aufsichtsrat stärken!“

Last Updated on 2020-08-06
Michael Schaumann / LinkedIn, 20.07.2020

Der weitreichende Bilanzbetrug von Wirecard ist einer der größten Wirtschaftsskandale der letzten Jahrzehnte. Hier haben alle Kontrollmechanismen versagt. Die Rolle der Wirtschafsprüfer wurde und wird in den Medien vielfach beleuchtet, die des Aufsichtsrates schon etwas weniger.

Ich suche und besetze seit vielen Jahren Aufsichtsräte. Aus dieser langjährigen Erfahrung und den Erkenntnissen aus dem Wirecard-Fall ergeben sich für mich sechs Punkte, die notwendig sind, um die Institution Aufsichtsrat endlich zu stärken und zu dem zu machen, was sie ist – ein Kontrollgremium und kein regelmäßiges Treffen von Freunden und Bekannten:

  1. Der AR muss unabhängig sein. Klingt selbstverständlich, aber leider wählt sich der Eigentümer den Aufsichtsrat oft selbst aus – entlang dem Kriterium „persönliche Beziehungsebene“. Die Mehrheit der Anteilseignervertreter der Gesellschaft sollten auf alle Fälle unabhängig und sehr kritisch sein. UND ganz wichtig, der Prüfungsausschuss ist von einem sehr unabhängigen Vorsitzenden zu führen.
  2. Denn: AufsichtsrätInnen und Vorstände sitzen nicht im selben Boot – sie rudern nur im gleichen Gewässer. Der AR soll nicht die Entscheidungen des Vorstandes absegnen, sondern sie kritisch hinterfragen. Dazu braucht es die beiderseitige Bereitschaft zu einem kritischen Dialog. Der sollte dann nicht ausschließlich in den AR-Sitzungen stattfinden, sondern laufend. AufsichtsrätInnen sind idealerweise Sparringpartner des Vorstands und haben dafür ausreichend Zeit und auch Freude daran.
  3. Kontrolle ist mehr als Fehlersuche. Denn wenn Fehler passiert sind, ist es meist schon zu spät. Der AR muss sich ständig der Funktionsfähigkeit der Prozesse im Unternehmen versichern, die Betrug und Fehler verhindern. Neben der vergangenheitsbezogenen Kontrolle der Umsatzentwicklung, Rechnungslegung usw. ist es mindestens genauso wichtig, die auf die Zukunft gerichtete Kontrolle nicht aus dem Auge zu verlieren.
  4. Bei börsennotierten Unternehmen beansprucht der Job des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Stellvertreters zwei bis drei volle Arbeitstage in der Woche. Wenn man nicht ausschließlich pensionierte Vorstände im AR will, muss die Remuneration höher sein als sie jetzt ist. Fünf AR-Mandate sollten so viel einbringen wie ein Vorstandsgehalt. Dann würden sich Top-ManagerInnen ab 50 Jahren überlegen, den Karriereweg als hauptberufliche AufsichtsrätInnen einzuschlagen. Denn genau diese Expertise ist im Aufsichtsratsjob so immens wichtig.
  5. Aufsichtsrat ist nämlich kein „learning by doing“. Expertise und Erfahrung sind – gerade bei jungen Unternehmen – für die Ausübung des Mandats unverzichtbar. Trotzdem plädiere ich für einen diversen Aufsichtsrat – gerade auch, was das Alter seiner Mitglieder betrifft.
  6. Politik und Regulatoren sind stärker gefordert: Die Kontrolleure müssen einerseits selbst kontrolliert werden, andererseits brauchen sie die legistische und gesellschaftliche Rückendeckung staatlicher Kontrollinstitutionen, um ein unabhängiges und kritisches Mandat ausüben zu können.

 

Michael Schaumann ist Managing Partner und Regional Practice Leader Europe, Middle East, Africa – Board Services beim Executive-Search-Unternehmen Stanton Chase / Wien, www.stantonchase.com


@Elisabeth Kessler