Mode ohne schlechtes Gewissen

Mode ohne schlechtes Gewissen

Last Updated on 2022-09-12
Dr. Christine Domforth

Hüte, Schals und Schmuck wurden am 8. September 2022 bei einem Popup-Salon in der Galerie V&V präsentiert. Doch es ging dabei nicht um kurzlebige Trends, sondern um Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Individualität durch gekonntes Upcycling.

Zur Modeschau der etwas anderen Art begrüßte INARA-Chefin Dr. Brigitta Schwarzer in der Galerie V&V in der Wiener Innenstadt zahlreiche Damen, auch zwei mutige Herren waren gekommen. Ein besonderes Anliegen ist allen bei der Veranstaltung vertretenen Designerinnen das Upcycling. Weil dabei mit wenig Aufwand aus älteren Objekten sehr individuelle Stück geschaffen werden, passt dieser – gar nicht so neue Trend – perfekt in unsere Zeit, wurde betont.

Die Galerie V&V, die seit dem Jahr 1982 besteht und von Mag. Veronika Schwarzinger geleitet wird, widmet sich der zeitgenössischen Schmuckkunst. Die Stücke stammen von KünstlerInnen aus dem In- und Ausland, die Palette reicht von dezent bis gewagt. Dabei kann laut Schwarzinger aus Objekten aus der Schmuckschatulle in Kombination mit anderen, auch unkonventionellen Materialien etwas völlig Neues entstehen. Aktuell werden in einer Spezialausstellung mit dem Titel „Ties & Trash Treasuries“ Werke von zwei Designerinnen aus Argentinien präsentiert, die „prekär“ und „kostbar“ beziehungsweise alt und neu gekonnt verknüpfen.

Upcycling wurde schon früher praktiziert

Hutdesignerin Walli Jungwirth präsentiert ihre Kreationen ebenfalls regelmäßig in der Galerie V&V. Jeder ihre Hüte ist ein Unikat. Jungwirth hat ein großes Materiallager und setzt bereits seit Jahren auf Re- und Upcycling. „Das ist kein neuer Trend, sondern wurde schon früher oft gemacht. Man hat alte Modelle einfach umgeformt und mit einer neuen Garnitur (Band, Feder, Blume) versehen,“ so Jungwirth. Hüte sollen ihrer Ansicht nach nicht nur dekorativ, sondern auch praktisch sein. Zu ihrem Markenzeichen sind die Falthüte geworden, die man rollen, falten, einpacken und auch als Sitzunterlage verwenden kann und die dennoch nicht ihre Fasson verlieren.

Ein weiteres Beispiel für gelungenes Upcycling sind die Schals der Designerin Barbara Nemet. Sie hat ein Mode-Atelier in Wien-Josefstadt und zeichnet sich besonders durch ihre Innovationskraft aus. Zu Beginn der Corona-Pandemie nähte sie aus verschiedenen Stoffen Masken, die rasch zum Verkaufsschlager wurden. Als die FFP2-Masken Pflicht wurden stieg Nemet auf Schals um. Aus älteren Exemplaren – darunter oft Designerstücke – und neuen Materialen, die gekonnt kombiniert werden, entstehen spannende Unikate, die jedes Outfit aufpeppen.

Wie Seniorinnen über Mode denken

Dr. Elizabeth Baum-Breuer präsentierte bei der Veranstaltung ihr Buch „Mein Kleiderkasten – weibliche Lebensfreude bis ins hohe Alter“. Die Autorin war vor ihrem Studium als Sozialarbeiterin tätig und beschäftigt sich jetzt intensiv mit Biografiearbeit. Das Buch, dessen Vorwort ORF-Moderatorin Barbara Rett verfasste, geht auf eine Studie für die Universität Wien zurück. Dabei wurden insgesamt 25 Frauen zwischen 60 und 100 über ihre Einstellung zur Mode befragt. Es waren alle Gesellschaftsschichten – von der Verkäuferin bis zur Ärztin – vertreten. „Das Interesse an Mode und Kleidung nimmt entgegen den Erwartungen auch bei den Seniorinnen nicht ab,“ stellte Baum-Breuer fest. Mode sei nicht oberflächlich, ist die Autorin überzeugt. Sie kann nicht nur Freude machen und Emotionen wecken, sondern auch ein Katalysator für Erinnerungen sein. Deshalb wird das Thema auch in der Biografiearbeit eingesetzt, es funktioniert sogar bei Demenzkranken überraschend gut.

Recycling und Upcycling sind der älteren Generation durchaus vertraut, betonte Baum-Breuer. Die interviewten Damen hatten ja teilweise noch den Zweiten Weltkrieg bzw. die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre miterlebt. Da waren neue Kleidungsstücke Mangelware, man musste vorhandene Sachen umarbeiten, Materialien kombinieren und weiterverwenden. Einige der Befragten erzählten, dass sie teilweise noch alte Kleidungsstücke ihrer Mütter aufgehoben haben oder Teile aus ihrem Besitz nun von ihren Töchtern oder Enkelinnen getragen werden. So wird Kleidung auch zum „Brückenbauer“ zwischen den Generationen.

Gute Qualität ist nachhaltiger als Fast-Fashion

In Anlehnung an ihr Buch hat Baum-Breuer eine Ausstellung zum Thema „Mein Kleiderkasten“ zusammengestellt. Sie wurde bereits in Bad Erlach (NÖ) gezeigt und übersiedelt im Oktober in die Räume des Trachtenunternehmens Tostmann. Weitere Etappen sind Grundlsee 2023 und Bad Ischl im Jahr darauf. 2024 wird Bad Ischl Kulturhauptstadt Europas, die Ausstellung „Mein Kleiderkasten“ wird Teil der vielfältigen kulturellen Aktivitäten im Salzkammergut sein. Über weitere Studien zum Thema Mode denkt Baum-Breuer bereits intensiv nach. Im Fokus könnten jüngere Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund oder Promis stehen.

Alle Damen waren sich einig, dass Mode ein Ausdruck der Persönlichkeit und Individualität sein kann und soll. Wenn man sich ein edles Stück gönnt, tut das auch der Seele gut. Man hat daran viel länger Freude als an billiger Wegwerfmode und kann die Sachen – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – auch weitergeben oder vererben. Darüber wurde bei Sekt und Häppchen in der Runde noch lange angeregt diskutiert und dabei natürlich auch der eine oder andere Hut bzw. Schal probiert.