Nachhaltigkeit als neues Risikoparadigma in der Versicherungsbranche

Nachhaltigkeit als neues Risikoparadigma in der Versicherungsbranche

Last Updated on 2024-05-21
Brigitta Schwarzer

Wie wirkt sich ESG auf Versicherungen aus? Handelt es sich um ein neues Risiko, für das es spezielle Versicherungen gibt? Was ist bei Unternehmensversicherungen zu beachten, wenn ESG Teil des Geschäftsmodells wird? Fragen über Fragen, auf die es noch keine fertigen Antworten gibt. Das machte den Seminartag „Das neue Risiko Nachhaltigkeit“ spannend, zu dem Dr. Helmut Tenschert, zertifizierter Anbieter von Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für Versicherungsmakler:innen, und Dr. Brigitta Schwarzer, Geschäftsführerin der INARA GmbH, Vertreter:innen der Versicherungsbranche am 30. April 2024 in den Pressesalon des Österreichischen Journalisten Clubs in Wien geladen hatten.

Nach einem informellen Get-together vor Seminarbeginn, das bereits zum ersten Austausch unter Expert:innen genutzt wurde, starteten fünf aufeinander aufbauende Vorträge. Den Auftakt machte Dr. Tamara Kapeller, Gründerin und Geschäftsführerin von Wentner Kapeller Havranek Board Consulting, mit einer Tour d’Horizon durch die ESG-Landschaft. Ihre „Aufgabe“ war es, jenen Teilnehmer:innen, die bis dato nicht ständig mit ESG und Nachhaltigkeit zu tun hatten, die Materie kompakt und verständlich nahezubringen. Wofür steht „Green Finance“ und was bedeuten die dahinterliegenden Begriffe „Environmental“, „Social“ und „Governance (ESG)“? Was regelt die Taxonomie-Verordnung und inwieweit betreffen ESG-Regularien auch Unternehmen in der Lieferkette.

Anmerkungen der Autorin: Klar wurde dabei, dass das Thema nicht nur die ESG-Abteilungen der Versicherungsgesellschaften, die mehrfach vertreten waren, betrifft, sondern auch die Versicherungsmaklerschaft. Diese wird wohl nicht umhinkommen, Nachhaltigkeit künftig verstärkt in die jährlichen Risikogespräche einfließen zu lassen und auf die Notwendigkeit hinzuweisen, bestehende Versicherungsverträge da und dort anzupassen bzw. den Abschluss neuer Versicherungen zu empfehlen. Dabei ist es nicht so wichtig, genau zu wissen, welches Unternehmen wann was und in welcher Tiefe berichten muss, sondern es ist vor allem zu hinterfragen, ob die Berichtspflichten im Unternehmen versicherungsrelevant sind. Darüber hinaus sollte jede:r Gewerbe- und Industrieversicherungsmakler:in wissen, inwieweit die Geschäftstätigkeit der Kunden nachhaltig ist, zumal davon zukünftig auch Kreditfinanzierungskonditionen abhängen werden. Weniger Nachhaltigkeit wird mit höheren Zinsen einhergehen und diese bedeuten in der Regel ein höheres Risiko für Kreditnehmer.

Auch die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette haben es in sich. Sie betreffen indirekt auch kleinere Unternehmen, man denke etwa an die vielen heimischen Automobilzulieferer, deren Kunden berichtspflichtige Unternehmen sind. Für sie bedeutet dies nicht nur einen höheren administrativen Aufwand, sondern sie laufen außerdem Gefahr, von ihren eigenen Zulieferanten mit unzureichenden Informationen versorgt zu werden. Auch hier steigt das Risiko von Sorgfaltspflichtverletzungen in der laufenden Abwicklung und damit das Haftungspotenzial.

Die zweite Referentin war Dr. Margot Nusime, auf Versicherungsrecht spezialisierte Partnerin bei Brauneis Rechtsanwälte. Sie ging der Frage nach, ob Nachhaltigkeit die Entwicklung neuer Versicherungsprodukte erfordert und hat dazu bereits einige innovative Ideen – Stichwort Biobananenversicherung – entwickelt. Sie überlegte auch, welche Nachhaltigkeitskriterien z.B. in Haushaltsversicherungen eingebaut werden und welche Versicherungsprodukte generell mit Nachhaltigkeitskriterien ausgestattet werden könnten. Auch die Prämiengestaltung könnte in Zukunft nach bestehenden Nachhaltigkeitsrisiken differenziert werden. Ihr Fazit: „Es gibt so viele versicherbare Nachhaltigkeitsrisiken, dass sich die Versicherungswirtschaft hier richtig austoben kann.“

So nannte sie die Belastbarkeit von Daten als Risiko, insbesondere bei der Bewertung von Immobilienportfolios. Bei den D&O-Versicherungsbedingungen sei in Zukunft mit einem generellen Ausschluss von Umweltrisiken zu rechnen. Nusime erwähnte auch, dass die Vertrauensschadenversicherung im Rahmen der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette einen Aufschwung erleben werde.

Ihr folgte der humorvolle Vortrag von Mag. Wolfgang Fitsch, Vertreter der Allcura, einem Spezialversicherer für Vermögensschadenhaftpflicht. Als alter Hase wies er mehrfach darauf hin, dass Nachhaltigkeit an sich nichts Neues sei, sondern dass es alles in anderer Form schon einmal gegeben habe. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt in der Berufshaftpflichtversicherung für Berater und hier ortet er Bedarf nach zusätzlicher Aufmerksamkeit auf Seiten der Versicherungsnehmer:innen.

Es sei nicht zu vertreten, dass Rechtsberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater und andere, die ständig immer mehr Daten ihrer Mandanten erhalten und verarbeiten, diese nicht ausreichend absichern. Es muss nicht erst zu einem Cyberangriff kommen, schon ein normaler Datenverlust durch unzulängliche IT-Infrastruktur oder fehlerhafte Anwendungen führt zu Verärgerung und Schaden bei den Kunden sowie zu einem Reputationsverlust des Unternehmens. Eine Berufshaftpflichtversicherung (für einige Beratungsbranchen ist sie verpflichtend) kann hier zumindest einen Teil des Schadens für Berater:innen abfedern.

Sehr interessant waren auch die Vorträge von zwei Praktikern nach der Mittagspause. MMag. Dr. Reinhold Rieder, im Landwirtschaftsministerium für ESG zuständig, plauderte aus dem Nähkästchen und vermittelte den interessierten Zuhörern, dass sein Ministerium „keine fade Partie“ ist, sondern sich für eine ausgewogene Gesetzgebung in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft einsetzt und auch im Förderbereich sehr aktiv ist.

Den Abschluss bildete DI Georg Rauchenwald, – Nachhaltigkeitsmanager der Treibacher Industrie AG in Kärnten. Sein Berufsleben ist derzeit herausfordernd, gelte es doch, aus einer Vielzahl an neuen Rechtsakten und Strategien, denen ständig neue Regelungen folgen, praktikable Umsetzungsmechanismen zu entwickeln. „Die Geschwindigkeit der Entwicklung ist momentan enorm – und das für zentrale Stellen im Unternehmen, die sich ohnehin schon nicht über mangelnde Auslastung beklagen“, meinte Rauchenwald und sprach damit wohl vielen aus der Seele.“

Ein Panel mit den Aufsichtsrät:innen Mag. Erwin Krause (6B47 – Real Estate Investors AG), Mag. Elisabeth Miksch-Fuchs (Prater Wien GmbH), Mag. Markus Raml (Oberösterreichische Versicherung AG) und Mag. Jasmin Soravia (GrECo International Holding AG) betonte sodann die zunehmende Bedeutung von ESG-Themen in den Aufsichtsgremien heimischer Unternehmen. Als strategische Begleiter und Sparringspartner der Vorstände können die Aufsichtsräte auch Erfahrungen aus ihren Hauptberufen einbringen. In der zunehmenden Komplexität der Nachhaltigkeitsregulierung, insbesondere im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, sehen die Panelist:innen vor allem für kleinere Unternehmen eine deutliche Überforderung. Sie fordern daher mehr Praxisnähe in der Gesetzgebung.