Pflanzen gegen den Klimawandel

Pflanzen gegen den Klimawandel

Last Updated on 2021-08-25
Die Initiative GRÜNSTATTGRAU setzt sich für die Begrünung von Hausfassaden, Dächern und Innenhöfen ein. Gerade in dicht verbauten Gegenden hat Begrünung enorme positive Auswirkungen, betont Dipl.-Ing. Susanne Formanek von GRÜNSTATTGRAU. In Wien gibt es dafür nicht nur ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren, Interessierte bekommen auch entsprechende Förderungen. Nur für das Gießen der Pflanzen muss man selbst sorgen.

Die dramatischen Wettereignisse des heurigen Sommers haben wieder einmal deutlich gemacht, wie wichtig der Kampf gegen den Klimawandel ist. Es gibt nicht nur immer mehr Hitzetage, auch die Temperaturschwankungen werden immer größer, was Wettervorhersagen extrem erschwert. „Die Begrünung von Fassaden, Innenhöfen und Dächern kann da Abhilfe schaffen. Pflanzen sind die Klimaanlage für draußen – und das ganz ohne CO2-Ausstoß,“sagt Dipl.-Ing. Susanne Formanek. Die Absolventin der Universität für Bodenkultur in Wien ist Mitbegründerin der GRÜNSTATTGRAU GmbH, einem Forschungs- und Innovationslabor. Dieses entstand im Jahr 2017 als Tochtergesellschaft des gemeinnützigen Verbandes für Bauwerksbegrünung, wird vom BMK (Bundesministerium für Klimaschutz) gefördert und verfügt mittlerweile über ein großes Partner-Netzwerk. Ziel sei „die grüne smarte Stadt der Zukunft,“ so Formanek.

Viele Vorteile

Werden Bauwerke begrünt, dienen die Pflanzen als Dämmung, durch die Verdunstung kommt es zu einem spürbaren Kühleffekt. Eine Fassadenbegrünung, die sowohl boden- als auch wandgebunden sein kann, beschattet nicht nur die Räume dahinter und sorgt damit für natürliche Abkühlung, sie hält auch die Fassade zusammen und dient als Schutz. Außerdem wird der Energieverbrauch reduziert, die Begrünung rechnet sich also. Durchaus beachtlich ist auch die Lärmreduktion durch den Pflanzenbewuchs. Pflanzen an den Hauswänden oder auf dem Dach fördern weiters Artenvielfalt & Biodiversität, allerdings ziehen sie gelegentlich auch kleine „Krabbeltiere“ an. Ganz wichtig ist Formanek, dass nicht nur neue Gebäude, sondern auch alte Häuser begrünt werden können.

Gefühlte Temperatur sinkt spürbar

Wurde früher in Städten – darunter auch in Wien – bei der Errichtung von Neubauten eine bestimmte Anzahl von Garagen- oder Autoabstellplätzen gesetzlich oder per Verordnung vorgeschrieben, sollten künftig in Städten Grünflächen angeordnet, also eine Art Grünflächenfaktor (GFF) eingeführt werden. Derartige Pläne gibt es aktuell etwa in der Stadt Salzburg. Die entstehenden Mehrkosten in der Höhe von einem bis drei Prozent wären in der Baukostenplanung mit einzurechnen. Der Boku-Experte Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Florian Reinwald betont in einem Video, dass Wohnbauprojekte mit Begrünung dabei mithelfen können, die Hitze abzufedern und die Zahl der Hitzetage zu senken. Vor allem die gefühlte Temperatur wird durch Pflanzen massiv gesenkt. Einzelaktionen würden dabei allerdings nur wenig bringen, „die Masse und die konsequente Umsetzung machen die Wirkung aus,“ so Reinwald.

Prominente Beispiele im In- und Ausland

Begrünte Fassaden, Dächer und Innenhöfe sind sowohl international als auch in Österreich bereits oft zu finden. Für Schlagzeilen sorgte etwa der Bosco Verticale in Mailand. Dabei wurden die Zwillingstürme eines Hochhausprojekts mit 900 Bäumen und 2000 Sträuchern begrünt.  Weitere Beispiele sind eine Tankstelle in Budapest, ein Parkhaus in Rotterdam sowie ein Shopping-Center in Zürich – allesamt mit Pflanzen bewachsen. In Wien wurde Begrünung etwa beim Erste Campus neben dem Wiener Hauptbahnhof eingesetzt, grüne Fassaden haben u. a. das Boutique Hotel Stadthalle, die MA 31, das St. Anna Kinderspital sowie die Messe Wien. Der kurz vor der Eröffnung stehende City-IKEA am Wiener Westbahnhof bekommt einen Dachgarten, seine Fassade wird mit insgesamt 160 Bäumen in übergroßen Töpfen begrünt – siehe Interview der Immobilien-Redaktion vom 20.08.2021 unten. Vielleicht werden Fremdenführer in Wien bald spezielle Touren veranstalten, um den Besuchern das „begrünte“ Wien zu präsentieren.

Die Wiener Stadtregierung setzt bereits seit einigen Jahren verstärkt auf Klimawandelanpassungsmaßnahmen und stellt dafür entsprechende Budgets zur Verfügung. Verwaltet werden diese Geldmittel von den insgesamt fünf in Wien tätigen Gebietsbetreuungen Stadterneuerung GB*. Am wenigsten begrünt sind in der Bundeshauptstadt übrigens die Bezirke Margareten, Mariahilf sowie Rudolfsheim-Fünfhaus.

BeRTA: Begrünung samt Rankhilfe und Trog

Für die Begrünung von Fassaden braucht man behördliche Genehmigungen. Früher gab es dafür ein sehr aufwändiges Genehmigungsverfahren, bei dem z.B. in Wien sage und schreibe neun Magistratsabteilungen zuständig waren – ein wahrer Spießrutenlauf. Weil das viele Interessierte abschreckte, hat GRÜNSTATTGRAU gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft, Wissenschaft und in Zusammenarbeit mit der Stadt Kriterien für eine einfache Fassadenbegrünung entwickelt. Aufbauend auf dem von der FFG (Forschungsförderungs-Gesellschaft) und dem BMK geförderten Forschungspilotprojekt „50 grüne Häuser“ entstand das Projekt BeRTA. Es ist als fertiges, unterschiedlich kombinierbares Grünfassadenmodul aufgebaut, womit Häuser rasch und kostengünstig begrünt werden können. Neben den Pflanzen sind auch die Rankhilfe inkl. Pflanzen und Substrat und der aus Faserzement bestehende Trog inbegriffen, das System wird an das jeweilige Gebäude angepasst. Sowohl für Fassaden als auch für Dächer und Innenhöfe, die begrünt werden sollen, gibt es mittlerweile eigene Ö-Normen.

Verwendete Pflanzen müssen „klimafit“ sein

Wer eine Begrünung plant, muss dafür die Zustimmung des Hauseigentümers einholen. Außerdem sollte geklärt werden, wer das Gießen übernimmt, die Pflanzen ab und zu mit Dünger versorgt und den regelmäßig erforderlichen professionellen Rückschnitt organisiert.

Essentiell für eine erfolgreiche und langlebige Begrünung ist die Auswahl der geeigneten Pflanzen, so Formanek. GRÜNSTATTGRAU setzt Impulse und begleitet auch Projekte, die erforschen, welche Pflanzen und Bäume „klimafit“ sind, also mit den Klimabedingungen der Zukunft gut zurande kommen. Das sind natürlich andere als noch vor 20 Jahren.

www.gruenstattgrau.at


@ Niko Formanek

Susanne Formanek absolvierte die Universität für Bodenkultur in Wien im Bereich Holzwirtschaft. Als internationale Projektmanagerin leitete sie zuletzt den Green Building Cluster in Niederösterreich und hatte einen Sitz im NÖ Klima- und Energieprogramm. Seit 2011 konzentriert sich Formanek auf nachhaltiges Bauen mit Fokus auf Energieeffizienz und Klimawandelanpassungsmaßnahmen. Dazu gründete sie gemeinsam mit Vera Enzi das Innovationslabor GRÜNSTATTGRAU, das Bauwerksbegrünung als Gebäudeoptimierung forciert und als DAS Kompetenzzentrum für Gebäudebegrünung gilt. Sie ist Geschäftsführerin und seit 2017 Präsidentin vom IBO, das Österreichisches Institut für Baubiologie und –ökologie. Dies ist ein unabhängiger, gemeinnütziger, wissenschaftlicher Verein, der die Wechselwirkungen zwischen Mensch, Bauwerk und Umwelt erforscht.

Autorin: Brigitta Schwarzer