„Provisionsverbot wäre Ende für unabhängige Beratung“

„Provisionsverbot wäre Ende für unabhängige Beratung“

Last Updated on 2023-04-13
boersen-kurier.at / Klaus Schweinegger, 22.03.2023

Im Gespräch mit Rudolf Mittendorfer, dem Obmann Stellvertreter des Fachverbands der Versicherungsmakler.

Klaus Schweinegger. Sehr gespannt blickt die Finanzbranche nach Brüssel: EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness will im Mai im Rahmen ihrer „Kleinanlegerstrategie“ auch ein Provisionsverbot für Versicherungs- und Finanzprodukte vorschlagen und dann binnen eines Jahres auf den Weg bringen. Das hätte natürlich massive Konsequenzen (siehe dazu auch BK8 vom 23.2.2023). Viele sehen die unabhängige Finanzberatung in Gefahr. Entsprechend groß ist die Kritik in den Mitgliedstaaten.

Wir sprachen dazu mit dem langjährigen Versicherungsmakler Rudolf Mittendorfer. Er ist stellvertretender Fachverbandsobmann der Versicherungsmakler in der Wirtschaftskammer und deren Konsumentensprecher sowie Gesellschafter der Verag Gmbh und Vortragender in der IDD-Akademie.

Börsen-Kurier: Vorab zur Klarstellung: Das angedachte Provisionsverbot in der EU beträfe welche Produkte?

Rudolf Mittendorfer: Es ist noch unklar, ob es „nur“ um die Kapitalanlageprodukte geht, oder ob auch die Sachversicherungen betroffen wären. Aber: Wenn es bspw. nur bei den Kapitalanlageprodukten bliebe, dann stellt sich erst recht noch die Frage, wie deren Definition aussieht. Das ist ja sehr komplex. Unter dem Begriff Lebens- oder Kapitalversicherung gibt es eine Reihe von Produkten, deren Zuordnung zu klären wäre. Ich weiß nicht, ob ihr die Vielzahl der Fragen und die Fülle der Auswirkungen bekannt sind. Faktum jedenfalls ist, dass es bereits zahlreiche gewichtige Reaktionen gegen dieses Vorhaben gegeben hat – unter anderem von Finanzminister Magnus Brunner oder auch seinem deutschen Kollegen.

Börsen-Kurier: Bei einer spontanen Straßenumfrage zum Thema „Für und Wider Provisionen“, würde sich wahrscheinlich eine Mehrheit gegen das Zahlen von Provisionen aussprechen. Doch auch wenn ein Verbot zunächst für Kunden attraktiv klingen mag: Welche Konsequenzen hätte es für die unabhängige Anlageberatung?

Mittendorfer: Mit dem Ergebnis wäre ich mir gar nicht so sicher. Das hängt wohl auch stark davon ab, wie suggestiv die Fragestellung wäre. Wenn die Menschen aber den nötigen Stundensatz kennen (plus Umsatzsteuer), wenn ihnen bewusst wäre, dass die Zeit, die der Berater „mit ihnen“ verbringt, nur ein Teil der Arbeit ist, und auch die Aus- und Weiterbildung, die Bürokosten, die Versicherung und erst recht die Abarbeitung aller Maklerpflichten enthalten sein müssten, dann schaut es sicher anders aus.

Vor allem geht es aber auch darum, ob dieses Verbot für alle Vertriebswege gelten würde, oder nur für die „unabhängige Beratung“. Im letzteren Fall wäre das der Tod derselbigen; ob den Menschen die Konsequenzen klar wären, bezweifle ich allerdings. Festzuhalten ist auch, dass in Österreich der Konsumentenschutz keinesfalls ein Provisionsverbot fordert.

Börsen-Kurier: Und Sie glauben nicht, dass Kunden, vor allem bei beratungsintensiven Produkten – von der Pflege über die BU bis hin zur Industrieversicherung – oder auch für ein Altersvorsorgekonzept bereit wären, wie beim Handwerker oder Rechtsanwalt einen Stundensatz zu bezahlen?

Mittendorfer: Nein, das glaube ich nicht. Es sei denn, es kostet die Stunde nur 39 Euro, wie Untersuchungen in Deutschland zeigen.

Was ein qualifizierter Berater oder Makler alles können muss, und welche Kosten es im Hintergrund gibt, das weiß der Konsument schlicht nicht. Dass der Installateur oder Mechaniker 100 bis 150 Euro die Stunde kostet, Steuerberater das Doppelte, und Rechtsanwälte oft ein Mehrfaches – das ist hingegen klar.

Was Finanzdienstleistungen anlangt, gibt es leider die Erwartung, dass sie nichts kostet. Und dass die in den Produkten enthaltene Provision der getätigten Geschäfte die Aufwendungen derer ohne Abschluss mittragen, wird auch nicht berücksichtigt.

Leider wird diese Debatte auch nur in unserer Branche geführt, wiewohl die negativen Folgen eines Provisionsverbotes längst bekannt sind. Großbritannien ist ja ein Beweis dafür, was passiert. Da hat das Verbot dazu geführt, dass unter 100.000 Pfund schlicht keine Beratung stattfindet. Es gibt keine unabhängige Beratung mehr; das Geschäft ist zu den Banken gewandert. In den Niederlanden ist durch das Verbot der Lebensversicherungsmarkt um 80 % eingebrochen. In Schweden haben alle ausländischen Anbieter den Markt verlassen, weil sie ohne Provision natürlich keine Verkäufer finden. Ein absoluter Nachteil für die Konsumenten – ein Vorteil für die Finanzindustrie, die ohne Wettbewerb die Preise erhöhen kann.

Börsen-Kurier: Und was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Wahlfreiheit der Systeme?

Mittendorfer: Grundsätzlich gibt es diese Wahlfreiheit ja, aber mangels Angebots nicht bei allen Produkten. Problematisch ist auch eine Art von „umgekehrtem Rosinenpicken“. Wenn ich eine Reisekrankenversicherung als besonderes Negativbeispiel nehme, dann kostet sie im Schnitt 100 Euro. Davon bekommt man maximal 10% Provision. Selbst bei 50% wären das 50 Euro – für ein bis zwei Stunden Arbeit. Der Kunde will ja wissen, welche Leistungen er von seiner Pflichtversicherung bekäme, und dann die Deckungen seiner Kreditkarten, und dann noch einen Vergleich von mehreren Anbietern. Kein Mensch würde akzeptieren, für die Nettopolizze ein Fünffaches als Honorar zu bezahlen.

In Wirklichkeit ist es ja auch so, dass die großen Verträge und Geschäfte die kleinen subventionieren. Man erbringt unbezahlte Serviceleistungen für gute Kunden oder für Menschen, von denen man erhofft, dass sie es werden. Viele plündern sich selbst aus, und es gibt ja auch viel „Beratungsdiebstahl“.

Es ist eine Tatsache, dass die Gewinne der Versicherungen – die werden ja zumindest bei den börsennotierten Gesellschaften veröffentlicht – deutlich gestiegen sind. Die Beraterzunft hat aber leider gegenteilige Entwicklungen erfahren. Massive Kosten in IT, Personal etc. stehen kaum „Rationalisierungsgewinnen“ entgegen – weil eben die Beratungszeit und vor allem die Auflagen für Dokumentation gestiegen sind.

Börsen-Kurier: Ein Kritikpunkt am aktuellen System ist, dass die Provisionshöhe nicht ausgewiesen wird. Was entgegnen Sie?

Mittendorfer: Transparenz ist ein beliebtes Zauberwort. Wenn ich weiß, dass ein T-Shirt in Bangladesch 1 Euro kostet – was bringt mir dies, abgesehen natürlich vom Wissen um die Ausbeutung der Menschen? Ich meine damit: Das Produkt muss ja hierhergebracht werden. Dazu kommen Transport, Großhandel, Distribution, Werbung und vieles andere mehr, und schließlich kostet es 10 Euro. Was hätte ich davon, wenn die einzelnen Posten beim Gesamtpreis ausgeschildert würden?

In der Versicherungsbranche geht es um Dienstleistung. Am Anfang steht die Prämie der Versicherung. Deren Aufschlag scheint nicht zu interessieren. Der Letzte in der Kette, der Verkäufer, soll aber die Provisionshöhe ausweisen. Und welche Höhe ist das? Nehmen wir eine Lebensversicherung – das gleiche Produkt, die gleiche Gesellschaft: Der Angestellte bei der Bank bekommt gar keine Provision. Er müsste also keine ausweisen. Und der Angestellte der Versicherung bekommt eine kleinere Provision als ein Agent oder ein Makler, weil er auch ein Gehalt bezieht, der Dienstgeber die Nebenkosten zahlt, es 14 oder mehr Gehälter gibt. Aber wie soll der Kunde dies fair vergleichen können. Auf den ersten Blick wäre dann wohl die Bank „am günstigsten“, der Makler – der noch dazu alle Produkte vergleicht und „Best Advice“ zu erbringen hat, der Teuerste.

Börsen-Kurier: Glauben Sie abschließend, dass es bei einer Neuregelung zu einem massiven Exodus in der Branche kommt?

Mittendorfer: Ein Provisionsverbot führt zu Beratungsnotstand für die Kunden, und ein Provisionsverbot führt logischerweise zu einem Exodus. Und noch schlimmer, es führt zu einem Exitus für unabhängige Versicherungsberatung.

Quelle: Börsen-Kurier Online (boersen-kurier.at)