Sicherheitsstaat – eine Gefahr für die Demokratie?

Sicherheitsstaat – eine Gefahr für die Demokratie?

Last Updated on 2020-01-20
Dr. Cornelia Brüll

Im 25. philosophischen Salon am 25. Juni 2019 diskutierten wir (eine kleine feine Runde von rund einem Dutzend Personen) über die Auswirkungen des Sicherheitsstaats.

Es ging also um die Frage: Welchen Stellenwert spielt das Thema Sicherheit in unserer Gesellschaft heute? Verändert sich mit diesem Schwerpunkt die Politik? Wenn ja, wie? Was sind die Konsequenzen des stetig steigenden Verlangens nach mehr Sicherheit? Was passiert mit unserer Demokratie?

Der Ausnahmezustand

Als Anregung lasen wir einen Artikel des italienischen Philosophen Giorgio Agambens, der sich an Carl Schmitt anschließt, wenn er behauptet: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet”. Der Ausnahmezustand stellt eine Schwelle zwischen Chaos und Ordnung dar. Es ist der Bereich oder der Moment, in dem über Leben und Tod willkürlich entschieden werden darf. Das Recht wird in diesem Moment ausgesetzt. Hier entfaltet sich die volle Macht politischer Entscheidungsträger*innen.

Heute werden diese Ausnahmezustände vervielfältigt. Sie betreffen vor allem Staatenlose, Geflüchtete, Asylsuchende. Ihnen wird das Recht und – wie Agamben es nennt – der bios, die Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft, entzogen und auf das nackte Leben, zoé, reduziert. Deshalb dürfen wir sie im Mittelmeer sterben lassen.

Im Namen der Sicherheit

Legitimiert werden diese Ausnahmezustände, die willkürliches Handeln im rechtsfreien Raum gestatten, über das Thema Sicherheit. Die Polizei tritt verstärkt in Erscheinung und bekommt mehr Handlungsspielraum. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, indem auf die Notwendigkeit von Überwachung und Kontrolle hingewiesen wird.

Dabei gibt es hier ein psychologisch interessantes und empirisch überprüftes Phänomen: mehr Polizeipräsenz verunsichert eher, als dass sie das Sicherheitsgefühl steigern würde. Menschen haben tendenziell mehr Angst, je mehr Kontrolle es gibt. Denn allein die Notwendigkeit der Präsenz legt die Vermutung nahe, dass wir uns in einer Gefahrensituation befinden.

Sicherheitsstaat

Nun ist genau dies natürlich schon beabsichtigte Strategie des Sicherheitsstaats, denn dieser kann seine Politik nur rechtfertigen, indem er die die Angst, die er selbst geschürt hat, am Köcheln hält. Damit dies gelingt und der politische Handlungsspielraum möglichst breit gehalten wird, setzt man auf vage rechtliche Rahmenbedingungen.

Ein Beispiel ist die Kreation des Begriffs „Gefährder”, die relativ neu ist. So veröffentlichte Herbert Kickl 2019 einen Gefährderkatalog, der natürlich Geflüchtete in Griechenland, der Türkei und auf der Balkanroute beinhaltete, aber auch Peter Pilz. Diese vage Kategorie legitimiert wiederum ein Handeln, z.B. ein Überwachen, das vorher nicht rechtlich abgesichert werden muss.

Schon Joachim Hirsch, der den Begriff Sicherheitsstaat geprägt hat, verwies in den 1980er Jahren darauf, dass es dabei um eine „Durchstaatlichung” von Gesellschaft geht, die darauf abzielt, Grundrechte und Freiheitsrechte einzuschränken.

Im Salon – Thema Vertrauen

Im Salon stellten wir fest, dass wer auf Sicherheit und Kontrolle auf der einen Seite setzt, meist ein Problem mit Vertrauen auf der anderen Seite hat. Länger diskutiert wurde, wo und wann nun der Mangel an Vertrauen entsteht? Handelt es sich um ein Henne-Ei Problem?

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen bestärken natürlich das Gefühl, dass in das Gegenüber nicht vertraut werden kann und soll. Gleichzeitig trägt auch die Globalisierung, die Differenzierung von Gesellschaft und der Verlust von Gemeinschaft zu einem Unsicherheitsgefühl bei. Das Problem ist, dass mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen an einem Symptom herumgeschraubt wird, statt an die Ursachen zu gehen.

Thema Verantwortung

Die Übernahme der Kontrolle durch den Staat führt zudem dazu, dass der/die Einzelne sich nicht mehr in der Lage sieht, selbst zu handeln und der Sinn für Verantwortung verschwindet. Niemand will mehr Verantwortung übernehmen: entweder weil die Angst vor dem Scheitern und die folgenden Reaktionen zu groß ist, oder weil die Erfahrung bereits gezeigt hat, dass die Handlungsmacht extrem eingeschränkt ist und das Tun oft ins Leere führt.

Der Sicherheitsstaat desavouiert so den polis-Gedanken, die demokratische Partizipation und generell die Herrschaft des Demos. Das Stärken von Gemeinschaftlichkeit, von Verantwortung für den Anderen, von Vertrauen in den Nächsten wäre also eigentlich die angemessene Reaktion auf ein steigendes Unsicherheitsgefühl.

Lösung Expert*innenregierung?

Aufgrund des Verlusts an Handlungsspielraum seitens der Bürger*innen und einem steigenden Unbehagen im Sicherheitsstaat heißen manche das Regieren von Expert*innen willkommen. Die Sehnsucht nach einer Sachpolitik ist nach Zeiten reiner Machtpolitik verständlich. Doch solche Regierungen sind meist weder demokratisch legitimiert, noch haben sie etwas mit Politik im eigentlichen Sinne zu tun. Politik bedeutet Streit, Positionierung, Pointierung und das Kämpfen um Gesellschaftsentwürfe.

Zudem gibt es einen weiteren fatalen Mythos: Expert*innen sind nie objektiv oder neutral. Jeder Akteur, jede Akteurin hat eine Biografie, eine Meinung, eine Haltung – den objektiv Regierenden gibt es nicht. Umso gefährlicher, wenn tatsächlich geglaubt wird, hier regiert das Wissen. Das sog. objektive Wissen kann dann nicht mehr infrage gestellt werden und die Demokratie verliert völlig ihre Zähne.

Wir werden also weiterdenken im Salon – im Herbst sind wir wieder da!

Dr. Cornelia Brüll ist akademische philosophische Praktikerin und Gründerin und Leiterin der Philosophischen Praxis PHILOSKOP im Helenental.

Website: http://www.philoskop.org