Smarte Software für Juristen

Smarte Software für Juristen

Last Updated on 2020-01-29
Brigitta Schwarzer

Mit dem innovativen „Legal Research Tool“ lässt sich juristische digitale Quellenrecherche einfach und schnell erledigen. Das Startup LeReTo auf die Beine gestellt haben die Soziologin Veronika Haberler und der Rechtsanwalt Peter Melicharek. Sie sind überzeugt, dass die Digitalisierung den Anwaltsberuf dramatisch verändern wird.

Die Zeiten, da Juristen in dicken Wälzern den passenden Gesetzestext nachschlagen mussten, sind vorbei. Innovation und Digitalisierung haben unter dem Stichwort Legal Tech in Anwaltskanzleien Einzug gehalten, der Anwaltsberuf ist im Umbruch. Die Startup-Gründer Veronika Haberler und Peter Melicharek haben sich intensiv mit der Digitalisierung aus der Sicht des Rechtsanwalts beschäftigt und mit ihrem Team aus IT-Experten ein Online-Tool für RechtsanwältInnen, RichterInnen & Co. entwickelt. Es vereinfacht die juristische Quellenrecherche drastisch und spart damit Zeit und Kosten. „LeReTo, das steht für Legal Research Tool, ist eine Software, die Gesetze, Rechtsprechung und Fachliteratur vollautomatisch erkennt und verlinkt,“ erläutert Haberler. „Wir waren frustriert, dass es am Markt ausschließlich antiquierte Juristensoftware gegeben hat. Da haben wir uns gedacht, das können wir besser,“ ergänzt Melicharek.

Win-win-Situation für Klient und Anwalt

Melicharek ist Wirtschaftsanwalt, Haberler ist promovierte Soziologin und hat zusätzlich einen juristischen Abschluss. Ihre Kanzlei arbeitet mit einem interdisziplinären Team und beschäftigt sich vor allem mit streitigem Wirtschaftsrecht. Dabei dominieren umfangreiche Schriftsätze, oft herrscht Zeitdruck. Die Klienten, die meist eigene Rechtsabteilungen haben, sind einerseits kostenbewusst und wollen von ihren Anwälten keine repetitive manuelle Recherche, andererseits aber sehr wohl alle Argumente nachvollziehen können. „Ich muss nicht mehr alle Zitate einzeln herausklauben, denn das Tool setzt mir Links. Uns nimmt es die langweilige Datenbanksuche ab, und die Klienten schätzen die Serviceleistung, smarte PDFs mit Mehrwert zu bekommen“ erklärt Melicharek. LeReTo bedeutet für ihn auch einen Qualitätssprung, denn durch die Zeitersparnis bleibt Juristen mehr Zeit, um sich stärker mit den Inhalten der Fragestellung auseinanderzusetzen.

Pionierleistung und Innovationspreise

Das Tool funktioniert so, dass der User ein File – meist ist das ein PDF, beispielsweise ein Urteil, ein gegnerischer Schriftsatz oder ein Gutachten – in ein Feld in seinem Internet-Browser zieht. Das PDF wird automatisch analysiert, mit über 30 Datenbanken aus ganz Europa abgeglichen und mit einem Link-Layer samt Inhaltsverzeichnis neu generiert. LeReTo verkauft allerdings keinen Content, wer beispielsweise kostenpflichtige Literatur will, muss diese weiterhin beim Verlag bezahlen.

Die Idee zu LeReTo ist bereits 2013 entstanden, in diesem Jahr wurde auch der erste Prototyp entwickelt.  2015 wurde eine Spin-Off Gesellschaft gegründet, im Frühjahr 2016 erfolgte der Markteintritt. Seither wird das Tool ständig weiterentwickelt. Von semantischer Suche über Multi-File-Analyse und Datenvisualisierung bis hin zu einer Augmented-Reality-Anwendung, bei der die Quellen von einem Blatt Papier ausgelesen und die Ergebnisse auf den Tisch projiziert werden, reicht die Palette. Haberler ist es dabei wichtig, dass trotz aller Technik-Features hinter den Kulissen LeReTo komfortabel und vor allem einfach zu bedienen bleibt. Das User-Interface ist klar designt, aufgeräumt und auf das Wesentliche reduziert.

LeReTo wurde bereits mit acht großen Innovationspreisen in Österreich, Deutschland und den Niederlanden ausgezeichnet. „Besonders stolz sind wir auf unseren ersten Platz beim EU-Datathon 2019,“ so Haberler und Melicharek unisono. Mit ihrem Datenmodell zur Vernetzung von supranationalen Gerichtsentscheidungen traten sie gegen 99 Teilnehmer aus ganz Europa an und überzeugten die Jury der EU-Institutionen.

Datenschatz und Datenschutz

Der Datenbestand, auf den LeReTo zugreift, wird immer umfangreicher. „Prinzipiell erkennen wir alles, was digital veröffentlicht wurde: neben RIS- und Findok-Daten auch die Erkenntnisse von OGH, VfGH, VwGH, EuGH, alle deutschen und viele andere europäische nationale Gerichte, Literatur, sogar ÖNORMen“, erläutert Haberler, „und auf Wunsch unseres Kunden, dem Arbeitsrechts-Spezialisten CMS, haben wir zuletzt beispielsweise auch Kollektivverträge integriert“.

Datensicherheit wurde bei LeReTo immer schon großgeschrieben. Dokumente der Kunden werden nur kryptografisch verschlüsselt zur Analyse bereitgestellt und nicht gespeichert. „Mehrere öffentliche Stellen haben unsere Datenschutz-Strategie geprüft und für gut befunden, daher sind wir auch IÖB-zertifiziert“, erklärt Melicharek. „Wir arbeiten ausschließlich mit eigenen ‚dedicated‘ Servern in Österreich und Deutschland. Aber wenn ein Kunde sich eine On-Premise-Lösung wünscht, dann kann er die auch gerne bekommen“.

Weitere Expansion geplant

Zielgruppe sind vor allem größere Kanzleien, Institutionen oder Rechtsabteilungen ab etwa zehn JuristInnen, es werden aber auch „Einzelkämpfer“ bedient. Es gibt verschiedene Bezahlmodelle, alle auf Flat-Rate-Basis und ab 19,- Euro pro Account und Monat.

Seit 2017 ist das Legal Research Tool auch in Deutschland erhältlich. „Wir arbeiten hier mit Soldan als Kooperationspartner, die haben ein wunderbares Vertriebsnetz und überall Supporter“, führt Haberler aus. Kürzlich hat man auch in der Schweiz begonnen, für Polen und die Niederlande befindet sich LeReTo zurzeit in der Proof of Concept-Phase.

Ausblick: Beratung in einer digitalen Welt

Mit ihrem Tool zeigen Haberler und Melicharek auf, wohin sich der Anwaltsberuf entwickeln wird und wie Digitalisierung zum Vorteil der Klienten eingesetzt werden kann. Die menschliche Beratungsleistung erhält einen neuen, höheren Stellenwert, weil sie von Routinetätigkeit befreit wird. „Rechtsdogmatisch sauber argumentierte präzise Ergebnisse statt bloß ungeprüft übernommener Sekundärzitate und Zirkelverweise“, das könnte, so Melicharek mit Augenzwinkern „eine Renaissance der Qualitätsjuristerei einläuten“. Haberler ergänzt: „Eine nachvollziehbare Ergebnisbegründung ist in allen europäischen Verfassungsordnungen verankert. Das zeigt auch die Grenzen von Entscheidungs-Algorithmen auf“. Melicharek: „Wenn eines Tages solche zum Einsatz kommen, dann ist Transparenz der Logik ein Muss! Aber solange die sagenumwobene Artificial Intelligence zwar ganz toll Schach spielen kann, jedoch beispielsweise keine Satire versteht, wird menschliche Interpretation unentbehrlich bleiben“. LeReTo wolle den Menschen nicht ersetzen, sondern ihm zuarbeiten.

Veronika Haberler meint, dass erst ein Bruchteil des möglichen Digitalisierungsgrads erreicht sei und dass die Anwaltschaft mitziehen müsse. „Und zwar nicht nur zur Diskussion der – mittlerweile eigentlich auch schon altbekannten – Rechtsfragen zu den Buzz-Themen Blockchain, Drohnen und selbstfahrende Autos“. Das Berufsbild des Anwaltes werde sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern und zwar nicht wegen der Innovation aus den Kanzleien, sondern wegen jener Innovation, die bei den Mandanten im Alltag stattfinde.

Kein Klient sei heute mehr bereit, seinen Anwalt für ein Vertragsmuster zu bezahlen, welches er sich selbst aus dem Internet heraussuchen könne. Stundensatz-Honorare würden bald der Vergangenheit angehören, Pauschalhonorare selbst für komplexe Transaktionen oder im Litigation-Bereich werden mehr und mehr angefragt. Verlässliche Risikoeinschätzungen werden zur Planung der Ressourcen daher immer wichtiger. Das gehe aber nach Ansicht von Melicharek nur, wenn der Anwalt nicht entrückter Berater in der Ferne ist, sondern unternehmerischer Weggefährte an der Seite seines Klienten. Und zur vernünftigen Verwendung der Ressourcen macht es Sinn, sich mit Legal Tech zu beschäftigen. Und zwar ab sofort.


@ LeReTo/Paul Bauer Photography

Website LeRoTo KG: www.lereto.at; Website WIENER ADVOCATUR BUREAU, Melicharek Rechtsanwalts GmbH: www.advocatur-bureau.at