Stadt Wien will Abbrüche weiter erschweren

Stadt Wien will Abbrüche weiter erschweren

Last Updated on 2022-10-21
standard.at / Martin Putschögl, 30.09.2022

Die anstehende Wiener Bauordnungsnovelle war das große Thema des 5. Stadtentwicklungstags des ÖVI. Der “Schutz der Gründerzeit” soll verstärkt werden

Der nun vollzogene Abriss in der Radetzkystraße 24–26 in Wien-Landstraße war in den vergangenen Jahren ein Aufreger. Wie solche Vorgänge künftig verhindert werden können, ist eine der vielen Diskussionen rund um die Bauordnungsnovelle 2023 in Wien.

Eine Wiener Bauordnungsnovelle steht bevor, und diese stand naturgemäß im Fokus des bereits 5. Stadtentwicklungstags des Österreichischen Verbands der Immobilienwirtschaft (ÖVI) am vergangenen Dienstag in Wien. Denn die Immobilienbranche will diesmal ihre Vorschläge zeitgerecht einbringen. 2014 war das noch anders, daran erinnerte der Organisator der Veranstaltung, ÖVI-Bauträgersprecher Klaus Wolfinger: Damals habe man erst im Zuge eines STANDARD-Streitgesprächs mit dem damaligen Wohnbaustadtrat und heutigem Bürgermeister Michael Ludwig Vorschläge unterbreitet. “Viel zu spät”, wurde dem ÖVI damals vonseiten der Stadt signalisiert.

Fachenquete im November

Ludwigs Amtsnachfolgerin Kathrin Gaál musste ihren Auftritt auf dem Stadtentwicklungstag kurzfristig absagen, Neos-Wohnbausprecherin Selma Arapović war aber da und umriss gemeinsam mit Stadtbaudirektor Bernhard Jarolim die Eckpunkte der BO-Novelle: Klimawandel(anpassung), leistbares Wohnen, Verfahrensvereinfachungen, Serviceorientiertheit.
Die Novelle solle in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 kommen, sagte Jarolim. Es sei eine “Riesenaufgabe”, vor der man stehe, und man sei auch schon ein bisschen in Verzug: Eigentlich hätte man “im Sommer mit den Themen fertig sein wollen – das ist uns nicht gelungen”, gab Jarolim zu.

Abbrüche sollen weiter erschwert werden

Nun ist also noch etwas mehr Zeit, auch für die Vorschläge der Immobranche. Anfang November ist außerdem, wie bereits berichtet, eine zweitägige Fachenquete zur BO-Novelle geplant. Danach soll es ernst werden mit der Ausarbeitung der Gesetzesnovelle, von der sich Jarolim nicht weniger als einen “Paradigmenwechsel” verspricht.

Womit ist zu rechnen? In puncto “Bestandsbewahrung” werde man Verschärfungen unternehmen, das ließ Jarolim bereits durchklingen. Schon 2018 wurde zwar eine Genehmigungspflicht bei Abbrüchen von Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden, eingeführt; professionelle Beobachter beklagen aber, dass sie weiterhin viel zu leicht umgangen werden kann, nämlich mit privat beauftragten Gutachten, die die “wirtschaftliche Abbruchreife” eines Hauses bestätigen. Jarolim sagte, man sehe sich gerade an, wie man dieser vielfach praktizierten “Herausbegutachtung” aus dem Verbot einen Riegel vorschieben könne.

Tabula rasa als Prinzip

Dass derzeit das Prinzip Tabula rasa beziehungsweise Neubau vor Erhaltung gelte, beklagte auch Robert Temel, Stadtforscher und Baukulturexperte, in einem Kurzreferat auf dem Stadtentwicklungstag. Bei der Bewertung der Erhaltungswürdigkeit eines Gebäudes würden derzeit ausschließlich kulturelle beziehungsweise “visuelle” Maßstäbe angelegt, sagte er; es sei aber nicht einsichtig, warum es da nicht auch beispielsweise viel mehr um Nutzungsmischung oder auch um Nachhaltigkeit gehen sollte.

Auch die Qualität des nach einem etwaigen Abriss entstehenden Neubaus sollte in diese Begutachtungen einfließen, meinten sowohl Temel als auch Architektin Verena Mörkl. Doch es sei alles andere als einfach, verbindliche Zusagen über die Gestaltung eines Neubaus mit einer Abbruchgenehmigung zu verknüpfen.

“Wie konnte das passieren?”

Ein damit zusammenhängendes Thema seien höhere Widmungen bei an sich erhaltenswerten Gebäuden, die in der Vergangenheit gemacht wurden und den Druck auf den Altbau dramatisch erhöhten. “Wie konnte das überhaupt passieren?”, fragte der Anwalt Markus Busta, der zuvor über die Ergebnisse diverser Abbruchverfahren berichtet hatte. Das Fazit dieses Exkurses: Einen roten Faden gibt es nicht. Genauso einen ausgeklügelten Kriterienkatalog wünscht sich die Branche aber, das wurde aus einigen Wortmeldungen klar.

Ganz grundsätzlich liege die Ursache für Abbrüche aber im Mietrechtsgesetz, sagte Mörkl. Dieses unterscheidet bekanntermaßen zwischen Alt- und Neubauten in der Miethöhe, denn Altbauten unterliegen dem Preisdeckel des Richtwertsystems, die nach dem Krieg entstandenen “Neubauten” aber nicht. Das Mietrecht sei jedoch eine bundesgesetzliche Materie – und deshalb auch dort zu lösen. “Wenn wir aber diese Ungleichbehandlung nicht lösen, werden wir es nicht schaffen.” Abbrüche würden wesentlich weniger häufig angestrebt beziehungsweise durchgeführt, wenn es diese Ungleichbehandlung nicht gäbe, ist die Architektin überzeugt.

Mehr Kubatur gegen soziale Verpflichtung

Ausgiebig wurde auf dem Stadtentwicklungstag auch über Verfahrensvereinfachungen diskutiert. Architektin Mörkl präsentierte zunächst den “Masterplan Gründerzeit”, den die Stadt von 2016 bis 2018 erstellen ließ, Mörkl beziehungsweise ihr Büro Superblock sowie Klaus Wolfinger waren die Auftragnehmer. In dem Masterplan wird vorgegeben, wohin die Reise in den Wiener Gründerzeitvierteln gehen sollte: Erdgeschoße attraktiver machen, auch Wohnen im Erdgeschoß ermöglichen, Innenhöfe entsiegeln und begrünen, Nutzungsvielfalt herstellen. Was es dazu laut Mörkl brauche: “Vernetzungsagenten”, die vor Entwicklungen in der gründerzeitlichen Stadt Gespräche führen, Bedarfe erheben, Bauträger mit sozialen Initiativen und Einrichtungen zusammenbringen.

Wenn es dann zu sozialen Nutzungen in privaten Gründerzeithäusern kommt, könnte es dafür von der Stadt mehr Kubatur geben, in Form von großzügigeren Aufzonungen. Und in diesem Zusammenhang forderte Mörkl dann auch verkürzte Widmungsverfahren oder ein eigenes ganz neues Widmungsinstrument, um solche Vorhaben schneller umsetzen zu können.

Bernhard Steger von der für Flächenwidmungen zuständigen MA 21 A (Gebiete Innen – Südwest) wies zwar in der Diskussion darauf hin, dass es verkürzte Bauverfahren ohnehin seit der letzten Bauordnungsnovelle schon gebe und diese auch bereits ein Drittel aller Fälle ausmachen würden. Doch der Tenor der Entwickler am Podium und auch im Saal dazu war: Ja, aber es dauert immer noch zu lange.

Suche nach dem “Zwischending”

In einem eigenen Block der Veranstaltung ging es dann genau darum: ein “Zwischending” zwischen einem Widmungsverfahren und dem berühmt-berüchtigten Paragrafen 69 der Bauordnung, der Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplans erlaubt beziehungsweise definiert, zu (er)finden. Denn Widmungsverfahren dauern meist einige Jahre. Wolfinger berichtete von einem Projekt im 17. Bezirk, wo eine Liegenschaft, auf der sich ein Autohaus befand, umgestaltet und auch im dafür noch nicht gewidmeten, aber schon komplett versiegelten Innenhof mit Wohnungen bebaut werden soll. Die Planungen dafür laufen seit 2018, erst jetzt dürfte das Widmungsverfahren “in Gang kommen”, sagte Wolfinger.

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, tun sich viele Bauträger solche langen Verfahren nicht an, sondern bauen dann eben in der bestehenden Widmung. In der Wiedner Hauptstraße 52 sei genau das passiert: Auch hier stand früher ein Autohaus, die Widmung lautet auf “Gemischtes Baugebiet – Geschäftsviertel”, was Wohnungen ausschließe. Nach gescheiterten Gesprächen mit der Stadt hat sich der Entwickler nun dazu entschieden, ein Hotel und Serviced Apartments zu errichten. Anrainerinnen und Anrainer waren erbost, forderten eine Redimensionierung des Projekts und eine Entsiegelung der Fläche. Doch der Bauträger bewege sich eben schlicht und ergreifend in der bestehenden Widmung, sagte Wolfinger; die Baugenehmigung sei bereits ausgestellt. (Dass der Bauträger vor dem Sommer mit dem Abriss eines Schalendachs dem Denkmalamt zuvorkam und dieses vor vollendete Tatsachen stellte, ist wieder eine andere Geschichte.)

Schnelligkeit zählt

Vier von fünf Entwicklern würden wohl eine rasche Umsetzung eines Projekts gegenüber der Chance auf mehr Kubatur bevorzugen, sagte Wolfinger mit Bezugnahme auf seine Erfahrungen aus dem täglichen Leben als Bauträgersprecher. Dadurch gingen aber Chancen verloren, soziale Nutzungen festzuschreiben oder attraktive Hof-Innenbereiche zu schaffen.

Bernhard Steger von der MA 21 A gab zu bedenken, dass bei diesem einen Fall im 17. Bezirk der Eigentümer während des laufenden Verfahrens verstorben sei, was natürlich Verzögerungen mit sich gebracht habe. Wolfinger pflichtete ihm bei, sprach aber nur von einem Monat, den das gekostet habe.

“Lücke schließen”

Er sehe jedenfalls “viel Platz in der Mitte zwischen Widmungsverfahren und Paragraf 69”, sagte Wolfinger. Widmungsverfahren sind Sache des Gemeinderats, bei einem Paragraf-69-Verfahren gemäß Wiener Bauordnung ist die Baupolizei (MA 37) die entscheidende Stelle. Für ein noch zu schaffendes “neues Instrument” in der Bauordnung, das nach Wolfingers Ansicht die Lücke zwischen Widmung und Paragraf-69-Verfahren schließen könnte, schwebt ihm der Planungsausschuss des Gemeinderats als entscheidende Ebene vor. Ergebnis dieses neuen Verfahrens sollte eine Verordnung sein, mit der nicht die Widmung, aber der Bebauungsplan für eine Liegenschaft geändert wird. Rechtsanspruch darauf soll es nicht geben; anders als bei einem Paragraf-69-Verfahren, “das ja kein Gnadenakt ist, sondern auf das es einen Rechtsanspruch gibt”.

In so einem schnelleren Verfahren, in das der Bezirk und eventuell auch Anrainerinnen und Anrainer früh eingebunden werden könnten, würde man dann auch beispielsweise die Schaffung dauerhaft preisgebundenen Wohnraums mit einem Bauträger vertraglich vereinbaren können, als Gegenleistung für die bessere Ausnutzung der Widmung, sagte Wolfinger.

“Widmungsverfahren ist der rechtskonforme Weg”

Dass Verfahren in Wien zu lange dauern, bekräftigte dann auch Sebastian Beiglböck, Geschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE), auf dem Podium. Nicht zuletzt aufgrund der Herausforderungen, die die Klimaziele mit sich bringen, wäre für ihn eine Beschleunigung angebracht.

Ernst Schlossnickel von der Stadtbaudirektion bezweifelte aber, dass ein Verfahren effizient sein könne, in das die Anrainer so früh einbezogen werden. Grundsätzlich seien aber “zahlreiche Vorschläge” zur Reform des Paragrafen 69 im Zuge der Bauordnungsnovelle eingebracht worden, “die werden nun begutachtet”. Dass der Paragraf 69 grundsätzlich “sturmreif geschossen” sei, wie jemand aus dem Publikum meinte, stellte er in Abrede. “Er wurde redimensioniert.” Und ganz grundsätzlich sei das Widmungsverfahren “nun einmal der rechtskonforme Weg”.

Fachenquete: Programm steht fest

Bei der bereits erwähnten Fachenquete am 9. und 10. November wird es laut vorläufigem Programm auch wieder eine Debatte über den “Schutz der Gründerzeit” geben, außerdem wird Steger eine Evaluierung der Widmungskategorie “geförderter Wohnbau” liefern, und über die Stellplatzverpflichtung, die laut Arapović ebenfalls ein Punkt der BO-Novelle sein wird (beziehungsweise das Wiener Garagengesetz), soll es ebenfalls eine Debatte geben. Und ja: Fix eingeplant ist auch ein Block über “Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung”. Man darf gespannt sein, was dann letztlich herauskommen wird.

Quelle: Stadt Wien will Abbrüche weiter erschweren – Wohnpolitik – derStandard.at › Immobilien