TEILHABE: Berufliche Selbstständigkeit als Weg zu mehr Inklusion

TEILHABE: Berufliche Selbstständigkeit als Weg zu mehr Inklusion

Last Updated on 2023-05-04
standard.at / Natascha Ickert, 11.04.2023  

Bekannte Unternehmerinnen und Unternehmer mit körperlicher Behinderung gibt es nur wenige. Auch Förderungen gibt es kaum. Das soll sich nun ändern

Ihr Herzensanliegen ist es, Menschen mit Behinderung sichtbarer zu machen. Anna Spindelndreier ist Fotografin und behindert. Sie lebt und arbeitet in Deutschland. Ihr Weg war nicht ganz leicht: “Bei den Vorstellungsgesprächen für einen Fotografieausbildungsplatz bekam ich leider zu hören, dass man mich nicht anstellen möchte. Der Grund: Man wisse nicht, wie Kunden auf mich als kleinwüchsige Fotografin reagieren”, erzählt sie in einem Interview mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Nach über 80 Bewerbungen klappte es dann doch. Aber eine Festanstellung war nicht in Sicht. Deshalb machte sie sich selbstständig. Seither ist sie sehr erfolgreich, gewann mehrere Preise für ihre Arbeit. Oft wird Menschen mit Behinderung die Arbeit oder die Selbstständigkeit nicht zugetraut. Anna Spindelndreier zeigt: Es geht. Und zwar sehr gut.

Selbstständigkeit auch bei dieser Personengruppe bekannter zu machen ist dringend notwendig. Denn eine überproportionale Zahl an Menschen mit Behinderungen sind ohne Erwerbstätigkeit, teilweise sozial- und pensionsrechtlich sogar benachteiligt, insbesondere wenn sie in Werkstätten beschäftigt sind und Taschengeld beziehen. „Deswegen ist es an der Zeit, die Selbstständigkeit zu fördern”, sagt Erich Schmid, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrates.

Mehr Unterstützungen

Um zu wissen, wo Unterstützung nötig ist, muss zuerst bekannt sein, wie viele Menschen betroffen sind. Leider ist die Datenlage zu Arbeitsverhältnissen von Menschen mit Behinderung spärlich. Insgesamt hat knapp ein Viertel der österreichischen Bevölkerung eine Behinderung. Doch wie viele davon sind auch arbeitsfähig? Dafür wird die Zahl der begünstigten Behinderten herangezogen (siehe unten).

Diese Personen sind somit fähig, am Arbeitsleben teilzuhaben. Das sind rund 125.000 Personen in Österreich. Davon sind aber knapp 40 Prozent weder in Unternehmen angestellt noch auf Arbeitssuche beim AMS. Es wird bisher nicht erhoben, wie viele Menschen mit Behinderung selbstständig sind. Das soll sich nun aber ändern. Im Nationalen Aktionsplan 2022–2030 ist die Datenerhebung von Menschen mit Behinderung in Arbeitsverhältnissen verankert. Der Bundesverband für Menschen mit Behinderungen (ÖZIV) schätzt, dass es in Österreich rund 2000 Unternehmerinnen und Unternehmer mit Behinderung gibt.

„Arbeitsassistenzen sind eine gute Möglichkeit, Personen bei ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen”, sagt Markus Raffer, Präsident der AED, der Vereinigung der Selbstständigen mit Behinderung. Das Netzwerk Berufliche Assistenz (NEBA) bietet ein Arbeitsassistenzmatching an. „Der Fokus muss weg von den Defiziten, hin zu den Fähigkeiten”, erklärt Gernot Rheinthaler, Geschäftsführer des ÖZIV. Auch Wienwork bietet ein spezielles Gründungsberatungsprogramm an. „Selbstständigkeit ist für viele Menschen erst nicht vorstellbar”, meint Rudolf Weissinger aus seiner täglichen Arbeit als Berater bei Wienwork. Zu ihm können alle kommen – auch ohne Ideen oder Businessplan. Ein passender Weg wird dann gefunden. (Natascha Ickert, 11.4.2023)

In welchen Berufen und wie arbeiten Menschen mit Behinderung?

  • Viele Menschen betroffen: ÖZIV, ein Verein für Menschen mit Behinderung, geht davon aus, dass circa 2,2 Millionen Personen über 16 Jahre in Österreich eine Behinderung haben. Dazu zählen: körperliche, Seh-, und Hörbehinderungen sowie chronische, psychische Erkrankungen und Lernschwächen.
  • Tageswerkstätten: Rund 23.000 Menschen mit Behinderung arbeiten in sogenannten Werkstätten in Österreich. Für ihre dort geleistete Arbeit bekommen sie kaum eine Bezahlung. Der monatliche Betrag liegt zwischen fünf und 200 Euro. Damit sind diese Personen weiterhin stark von den staatlichen finanziellen Unterstützungen abhängig.
  • Begünstigte Behinderte: Sie haben einen Behinderungsgrad von über 50 Prozent, für sie gilt ein erhöhter Kündigungsschutz, und sie werden im Beruf gefördert.

 

Quelle: Berufliche Selbstständigkeit als Weg zu mehr Inklusion – Karriere – derStandard.at › Karriere