„Typisch weiblich“: Ein Vorurteil?

„Typisch weiblich“: Ein Vorurteil?

Last Updated on 2023-02-26
Das Geschlecht spielt bei ökonomischen Entscheidungen keine Rolle. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis zeigt eine neue Studie aus der Verhaltensökonomie. Die Mär von der Risikoscheu der Frauen stimmt demnach nicht, was künftig auch bei der Besetzung von Führungspositionen beachtet werden sollte.

Dr. Christine Domforth

Männer sind risikofreudig, Frauen eher vorsichtig und altruistisch. Dieses Klischee hält sich seit Jahren hartnäckig – auch in der ökonomischen Literatur. Ein oft zitiertes Beispiel ist die „Lehman Sisters-Hypothese“. Die spektakuläre Pleite der Investmentbank Lehman Brothers war im Jahr 2008 der Startschuss zu einer massiven weltweiten Finanzkrise. Viele Experten, darunter auch Christine Lagarde (früher IWF-Direktorin, jetzt EZB-Chefin), waren wegen der extrem risikoreichen Geschäfte der männlichen Investmentbanker der Auffassung, dass es bei „Lehman Sisters“ wohl anders gelaufen und die Pleite zu vermeiden gewesen wäre.

Doch die Annahme vom geschlechtsspezifischem Verhalten dürfte nicht oder nicht mehr der Realität entsprechen. Die Verhaltensökonomin Helena Formwagner hat mit ihrem Team eine Studie zu den Themenbereichen Risikofreude, Wettbewerbsorientierung und Altruismus durchgeführt und die Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht. Erstmals wurden in das Experiment auch Transpersonen – bei ihnen stimmen biologisches und soziales Geschlecht nicht überein – einbezogen. Es wurden also vier Gruppen befragt: Cis-Frauen, Cis-Männer, Trans-Frauen und Trans-Männer, insgesamt 780 Personen. „Dabei zeigte sich, dass weder das biologische noch das soziale Geschlecht bei den Entscheidungen, welche die Personen getroffen haben, eine Rolle spielte,“ so Formwagner in einem Interview für Ö1. Es gibt demnach kein „typisch weibliches“ oder „typisch männliches“ Verhalten in Wirtschaftsfragen.

Gleichberechtigung noch fern

Über Gleichberechtigung wird zwar seit Jahren viel geredet, in der Praxis sind wir davon allerdings noch weit entfernt. Das zeigt beispielsweise der relativ bescheidene Frauenanteil in den Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen. Mangelnde Gleichberechtigung und nicht die höhere Risikobereitschaft der Männer ist laut Formwagner auch dafür verantwortlich, dass Finanzskandale – aus der jüngeren Vergangenheit seien als prominente Beispiele Dieselgate, Wirecard und der Kollaps der Krypto-Börse FTX genannt – fast ausschließlich von Männern verursacht werden. Gäbe es mehr Frauen in Führungspositionen, wäre es wahrscheinlich, dass auch sie den einen oder anderen Skandal verursachen.

Eine Untersuchung aus China zeigte ebenfalls, dass Frauen nicht zwangsläufig risikoscheu sind. In der kleinen Volksgruppe der Mosu, die neben vielen anderen Ethnien in einer entlegenen Provinz der Volksrepublik zu Hause ist, herrscht das Prinzip des Matriarchats. Und dort sind die Mädchen risikofreudiger als die Buben – offenbar, weil sie das von ihren weiblichen Verwandten so vorgelebt bekommen. Erst wenn sie länger in der Schule mit Kindern aus Volksgruppen mit „klassischer“ Rollenverteilung zusammen sind, ändert sich das, so die Studie. Die Rolle der Geschlechter und damit auch das Verhalten wird offenbar von kulturellen Normen und dem Umfeld geprägt und ist nicht starr, sondern kann Veränderungen unterliegen. Eine weitere Studie, sie wurde gemeinsam von der Universität Mailand und dem IZA in Deutschland durchgeführt, kommt zu dem Ergebnis, dass der Glaube an Geschlechterunterschiede in der Risikobereitschaft stärker ist als der empirische Nachweis dafür. Eine Überbewertung des Risikoverhaltens untergräbt überdies aktive Maßnahmen für mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt.

Diversität als Erfolgsfaktor

Welche Schlüsse lassen sich nun für den Unternehmensalltag ziehen? Auch wenn man alte Vorurteile offenbar überdenken sollte, „ticken“ Männer und Frauen tendenziell doch unterschiedlich. Männer sind eventuell eine Spur rationaler, Frauen hingegen ein wenig emotionaler. Bei Risikoentscheidungen – wenn es etwa um eine neue Investition oder eine Firmenakquisition geht – ist es daher durchaus von Vorteil, wenn diese Entscheidungen von einem gemischten Team und nicht von einer Runde aus „alten weißen Männern“ getroffen werden. Dabei sollte man Diversität bei Führungspositionen nicht darauf reduzieren, in den Gremien einen bestimmten Frauenanteil zu haben. Auch bezüglich Alter, Herkunft, Nationalität, Ausbildung etc. sollten Vorstands- und Aufsichtsratsteams divers zusammengesetzt sein. Dass Diversität einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet, hat sich in denen vergangenen Jahren immer wieder und sehr deutlich gezeigt.

Bei Wirtschaftsfragen, wo es eher um objektive Einschätzungen geht, spielt das Geschlecht kaum eine Rolle. Bei Führungskräften sind vor allem fachliche Kompetenz und die Fähigkeit zum fachübergreifenden Denken wichtig. Das haben Männer und Frauen – oder eben nicht. Natürlich kann in manchen Fällen auch die persönliche Position – etwa die politische Einstellung – eine Rolle spielen. Aber die ist ebenfalls geschlechtsneutral.

„Gender Bias“ wird oft unterschätzt

Ein Beispiel aus dem Bereich Medien soll dies verdeutlichen: Wenn im ORF ein Bericht über den Krieg in der Ukraine gesendet wird, macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob eine Reporterin oder ein Reporter diesen Beitrag gestaltet. Vielleicht sind Nuancen anders, aber der Inhalt wird nicht „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ sein. Entscheidend sind vielmehr Objektivität und Professionalität.

Wichtig ist es, bei der Besetzung von Führungspositionen auf den „Gender Bias“ zu achten Der hält sich hartnäckig, noch immer gibt es unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen, denen man geringere Kompetenzen zutraut und ihnen deshalb weniger Aufstiegschancen einräumt. Diese Vorurteile zu überwinden würde auch gegen den „Gender Pay Gap“ helfen, der in Österreich deutlich höher ist als im EU-Schnitt. Von Vorteil ist es für Frauen übrigens, wenn sie in typischen Männerberufen arbeiten, also im Management oder in den MINT-Fächern. Frauen sind dort zwar in der Minderheit und brauchen meist starke Nerven, um sich zu behaupten. Der Gender Pay Gap ist in männlich dominierten Branchen allerdings deutlich kleiner als in solchen mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis oder dort, wo Frauen die Mehrheit bilden.