Wenn das System zu kippen droht….

Wenn das System zu kippen droht….

Last Updated on 2021-07-08
Dr. Christine Domforth

Ein Volksbegehren mit prominenten Unterstützern will in Österreich die Korruption bekämpfen und die Justiz von politischem Druck befreien. Von den Politikern wird Anstand verlangt, Medien müssten unabhängig arbeiten können.

Für den Rechtsstaat und gegen Korruption: Das ist die Stoßrichtung eines Volksbegehrens, für das seit kurzem Unterstützungserklärungen abgegeben werden können. Auslöser für die Initiative, die sich als überparteilich bezeichnet, waren wohl einerseits die Attacken der ÖVP auf die Justiz und da besonders auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), andererseits verfängliche Postenbesetzungen im staatsnahen Bereich, etwa an der ÖBAG-Spitze. Unterstützt wird das Volksbegehren von zahlreichen hochrangigen Persönlichkeiten aus Justiz und Politik. Mit dabei sind u. a. der frühere Vorsitzende der internationalen Antikorruptionsakademie, Martin Kreutner, Ex-ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath, Verfassungsjurist Heinz Mayer, die frühere „Ibiza“-Staatsanwältin Christine Jilek, die ehemalige dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt, Finanzjurist Werner Doralt, Ex-Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler, der frühere Leiter der WKStA, Walter Geyer, und die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), Irmgard Griss.

Neben dem Schutz der Justiz vor politischem Druck verlangen die Initiatoren vor allem die Bekämpfung der strukturellen Korruption, die durch die Verflechtung von Politik, Parteien und Unternehmen im Einfluss des Staates begünstigt wird. Konkret gefordert wird mehr Transparenz bei Postenbesetzungen. Die Gewaltenteilung in Österreich dürfe nicht angetastet und die Reputation der Justiz nicht schleichend beschädigt werden. Ein weiteres Anliegen ist die Unabhängigkeit der Medien. Insgesamt enthält der Forderungskatalog des Antikorruptions-Volksbegehrens 72 Einzelmaßnahmen.

Martin Kreutner, einer der Hauptinitiatoren des Volksbegehrens, betonte bei Präsentation, dass Korruption den Rechtsstaat untergrabe. PolitikerInnen müssten Anstand wahren und dürften sich nicht bloß am Strafrecht orientieren. Die Unabhängigkeit der Medien dürfe nicht durch Inserate oder politischen Druck untergraben werden.

Verfassungsexperte Mayer verlangt für alle öffentlichen Strukturen Compliance-Regeln, bei Verstößen dagegen müsse es auch Sanktionen geben. Abgeordnete sollten nicht den politischen Parteien, sondern den BürgerInnen verpflichtet sein. Für ganz wichtig hält Mayer die Einhaltung der Gewaltenteilung, weil nur so die nötige Kontrolle gewährleistet sei.

Ikrath beklagt, dass in Österreich mit dem Thema Korruption seit Jahren schlampig umgegangen werden. Nun beginne das System zu kippen, so der Kenner der Materie. In den diversen Korruptionsrankings, etwa jenem von Transparency International, liege Österreich schlechter als der EU-Durchschnitt, deshalb müssten bei den verantwortlichen Politikern jetzt die Alarmglocken schrillen.

Jilek, die früher Ermittlerin in der WKStA war und auch im Ibiza-Untersuchungsausschuss befragt wurde, hat nach eigenen Aussagen bei ihrer Arbeit Dinge gesehen, die sie in diesem Land nicht für möglich gehalten hätte. Die Justiz müsse frei von politischem Einfluss arbeiten können, meint die Fachexpertin.

 

Und wie beurteilt ein Politik-Experte das Volksbegehren? Für die „Kronenzeitung“, die ebenso wie die Blätter „Heute“ und „Österreich“ von den im Vorjahr kräftig gestiegenen Regierungsinseraten überproportional profitierte, verfasste Prof. Peter Filzmaier eine ausgiebige Analyse. Eines muss man dem „kleinen Format“ lassen: Einige Blätter, deren Redaktionen über ausgewiesene politische und wirtschaftliche Expertise verfügen, schreiben leider in einer Sprache, der oftmals auch der interessierte und verständige Leser nicht leicht folgen kann. Der inhaltliche Anspruch der sogenannten Boulevardblätter ist zweifelslos geringer, die Texte sind aber verständlich. Und das ist gelegentlich ein win-win. In diesem Sinn – „Krone“ & Filzmaier, das habt ihr gut gemacht!

VOLKSBEGEHREN KOMMT / Gegen Korruption: Der Teufel steckt im Detail

Peter Filzmaier, Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz, in „Krone“, 04.07.2021

Sind Sie gegen Korruption? Wollen Sie in einem Rechtsstaat leben? Befürworten Sie eine Mitbestimmung des Volkes? Jeder von uns wird diese Fragen bejahen. Hoffentlich. Gegen so etwas können nur korrupte Verbrecher oder Möchtegern-Diktatoren sein. Es lehnt auch keine Partei die Forderungen eines aktuellen Volksbegehrens gegen Machtmissbrauch ab. Doch offenbar steckt der Teufel im Detail.

  1. Das Volksbegehren gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeitwurde von prominenten Persönlichkeiten – vom früheren Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler bis zu den Ex-Volksvertretern Irmgard Griss (NEOS), Michael Ikrath (ÖVP) und Heide Schmidt (FPÖ/LIF) – ins Leben gerufen. Auch dabei sind frühere Staatsanwälte und nicht mehr lehrende Universitätsprofessoren.
  2. Also zum großen Teil ältere Personen, die glaubhaft in Österreich „nichts mehr werden wollen“. Das kann Zufall sein. Oder bedeutet das im Umkehrschluss, dass aktiv im Berufsleben stehende Menschen zögern, weil es gegen die Mächtigen im Land geht und die Beteiligung den eigenen Karriereplänen schaden könnte? Es ist naturgemäß so, dass der Kampf für die Inhalte eines derartigen Volksbegehrens sich gegen jene richtet, die in Österreichs Politik, Wirtschaft oder Medien hohe Positionen innehaben.
  3. Klar, auch ein kleiner Beamter kann inkorrekt handeln. Genauso gibt es in der Bevölkerung Sprüche wie „Brauchen S‘ a Rechnung?“, um das Steuerrecht zu umgehen. Doch Postenschacher, undurchsichtige Parteienfinanzierung, versteckten Gesetzeskauf und fragwürdige Auftragsvergaben des Staates als mögliche strukturelle Korruption können nur jene betreiben, die in der Republik Österreich das Sagen haben.
  4. Zu betonen ist, dass mehrere Kritikpunkte des Volksbegehrens sich auf Fehlverhalten beziehen, bei dem kein politischer Akteur mit dem Strafrecht in Konflikt kommt. Dazu ein Beispiel: Wenn Parteien die Obergrenze für Wahlkampfausgaben – diese werden überwiegend mit unserem Steuergeld bezahlt – um Millionen überschreiten, so bekommen sie eine Geldstrafe. Die übrigens niedriger sein kann als der Gewinn aus der durch ein gutes Wahlergebnis erhöhten Parteiförderung.
  5. Dem verantwortlichen Parteichef und seinem Geschäftsführer passiert nichts. Genauso wenig, wenn im Bericht an den Rechnungshof unvollständige oder unwahre Angaben gemacht werden. Denn dieser darf weder in den Parteikonten nachschauen, noch Unregelmäßigkeiten bestrafen. Das versteht keiner, wenn gleichzeitig jeder Prokurist eines Kleinunternehmens für viel kleinere Ungenauigkeiten eine saftige Strafe bekommt. Die er aus seinem Privatvermögen bezahlen muss.( Schlager)
  6. Hier sind Mandatsverluste für Partei und Person eine richtige Forderung des Volksbegehrens. Eher frivol ist es, wenn Politiker hinausposaunen, dass sie mitunterschreiben werden. Der Vorwurf der Frivolität bezieht sich sowohl auf gegenwärtige wie ehemalige Parteien in der Regierung. Um Missstände zu beseitigen, können diese ja einfach im Parlament mit ihrer Regierungsmehrheit entsprechende Gesetzesanträge einbringen und beschließen. Das geht schneller.
  7. Stärke und Schwäche des Volksbegehrens gegen Korruption & Co. ist sein riesiger Umfang. Man verzichtet auf einen einzelnen Gesetzesentwurf, sondern macht viele Vorschläge in fünf Bereichen, die auch Anstand in der Politik sowie – das ist im Sinn der Ehrlichkeit wichtig zu erwähnen – mehr Transparenz nicht zuletzt bei der Medienförderung und Inseratenvergabe beinhalten. In den Erläuterungen des Begehrens sind zahlreiche Gesetze angeführt, die man für Verbesserungen umschreiben sollte.
  8. Wird das geschehen? Bei 100.000 oder mehr Unterschriften muss das Volksbegehren im Nationalrat diskutiert werden. Gerade die Vielzahl der Anliegen macht es leicht, den Inhalt zu zerreden. Oder ein paar Kleinigkeiten umzusetzen, um größere Reformen zu vermeiden. Die Erfahrung spricht dagegen, dass Parteienvertreter im Parlament Gesetze beschließen, die das Herumfuhrwerken von Parteien und Politikern extrem einschränken.
  9. Damit ist ausdrücklich nicht gemeint, dass irgendein Politiker von Anfang an illegale Dinge vorhat! Doch man hat sich an die eigene Macht mit legaler Klientelpolitik und Freunderlwirtschaft etwas zu sehr gewöhnt. Weniger Rechenschaftspflichten und Kontrolle sind eine liebgewonnene Selbstverständlichkeit geworden. Offenlegungen statt vertraulichen Absprachen gelten oft schlicht als mühsam. Doch wir brauchen sie in der österreichischen Demokratie.
  10. Was also die Lösung wäre? Sollten Volksbegehren wie das jetzige Begehren ein paar Hunderttausend Befürworter haben – über die genaue Zahl kann man streiten -, müsste es verpflichtend eine Volksabstimmung geben. Alle Parteien waren schon irgendwann mal dafür. Sobald sie aber in der Regierung sind, ist allen von ihnen die direkte Demokratie weniger wichtig.

 

Quelle: www.krone.at/2453160