Was kommt nach der Corona-HV?

Was kommt nach der Corona-HV?

Last Updated on 2021-02-18
Brigitta Schwarzer

Virtuelle Hauptversammlungen als coronabedingte „Notlösung“ haben 2020 erstaunlich gut funktioniert und werden wohl zumindest die nächsten Monate weiter das gängige Format sein. Sobald die Pandemie vorbei ist, spricht vieles für einen Umstieg auf die hybride HV, an der Aktionäre sowohl persönlich als auch via Internet teilnehmen können.

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor rund einem Jahr mussten nicht nur Theatervorstellungen, Konzerte und Fußballspiele als mögliche Superspreader-Events abgesagt werden, auch „klassische“ Hauptversammlungen waren nicht mehr erlaubt. Durch Gesetzesänderungen wurde u. a. in Deutschland, der Schweiz und in Österreich die Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen ermöglicht, um die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Gesellschaften zu erhalten. Diese der Pandemie geschuldeten Lösungen haben besser funktioniert als erwartet. 2020 wurde so zur Testphase für digitale HV-Formate. Auch im laufenden Jahr geht es wohl digital weiter, da Präsenz-HVen zurzeit schnell an ihre organisatorischen Grenzen stoßen – je größer z.B. die Teilnehmeranzahl desto schwieriger wird die coronakonforme Raumbeschaffung.

Die Abhaltung der jährlichen Hauptversammlung ist für Aktiengesellschaften ein gesetzliches Muss und daher unverzichtbar. Sie genehmigt den Jahresabschluss des vorangegangenen Geschäftsjahrs, beschließt die Höhe der Dividende, allfällige Kapitalmaßnahmen oder Satzungsänderungen, stimmt über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ab, entscheidet über die Bestellung des Abschlussprüfers, wählt die Aufsichtsräte usw. Aktionäre können bei der HV ihre Rechte als Miteigentümer wahrnehmen, allem voran das Rede- und Fragerecht. Daneben ist die Hauptversammlung die einzige Gelegenheit, bei der Unternehmensspitze und Aktionäre einander direkt begegnen und kommunizieren.

HV gehört zur Aktienkultur

Wenn ein Aktionär die HV „seines“ Unternehmens besucht, kann er Fragen stellen, gewinnt einen Eindruck vom Management, vom Geschäftsmodell und dem Produktportfolio, aber auch von der Unternehmensphilosophie und den Zukunftsplänen. Das stärkt die Identifikation mit der Gesellschaft, möglicherweise bleibt man in der betreffenden Aktie dann länger investiert. Viele Aktionäre besuchen Hauptversammlungen nicht – wie oft gewitzelt wird – wegen des Buffets, sondern schätzen den Dialog mit den Vertretern des Unternehmens. Nicht vergessen werden darf, dass bei jeder Hauptversammlung auch ein reger Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Aktionären stattfindet.

Angesichts von Nullzinsen beschäftigen sich zunehmend jüngere Menschen mit bestimmten Finanzthemen, etwa Kryptowährungen, „grünen“ Anlageprodukten oder Crowdfunding. Um das Interesse der Jugend für den Kapitalmarkt zu fördern, hat der IVA (Interessenverband für Anleger) eine eigene Initiative gestartet, die IVA Young Shareholders Association.

Wer Hauptversammlungen besucht, erlebt dort nicht nur praktische Finanzbildung, sondern kann von erfahren Aktionären auch vieles lernen, was ihm später möglicherweise bei eigenen Investmententscheidungen zugutekommt.

Florian Beckermann, der neue geschäftsführende Vorstand der IVA, warnt vor der Gefahr, dass die virtuelle Hauptversammlung zur Gewohnheit werden könnte. Der Aktionärskultur würde damit kein guter Dienst erwiesen, betont er. Man sollte sobald wie möglich wieder zur Präsenz-HV zurückkehren, aber auch die Hybrid-HV wäre nach Auffassung von Beckermann eine gute Lösung.

Das Beste aus beiden Welten

Mit der HV-Szene vertraut und als mittlerweile versierte Teilnehmerin an virtuellen und hybriden Aufsichtsratssitzungen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen etc. konnte ich mir in den letzten Monaten ein gutes Urteil über die verschiedenen Veranstaltungsformate bilden. Sich per Internet in ein Event einzuwählen hat Charme, man erspart sich Anfahrtszeiten und -kosten. Die Erfahrung zeigt, dass auch Kommunikation abseits einer formellen Agenda gut möglich ist, Diskussionen in Kleingruppen und Breakout-Sessions sind manchmal sogar effizienter als das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Trotz der Distanz kann eine Form von Vertrautheit – selbst mit Personen, denen man erstmals begegnet – ­ entstehen, die physisch gar nicht so leicht herstellbar ist.

Aber natürlich haben auch physische Events ihre Vorzüge. So ist eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wein zu zweit oder mehreren après allemal etwas anderes, als sich vor dem PC selbst zuzuprosten.

Zurück zur Hauptversammlung: Aus meiner Sicht bietet sich die hybride Variante als die Zukunftslösung für die Zeit nach Corona an, weil damit mehr Aktionärsinteressen unter einen Hut gebracht werden können. Vor allem Aktionären, die im Arbeitsprozess stehen, wird die Teilnahme durch die virtuelle Zuschaltung erleichtert. Durch die Ortsungebundenheit erreicht man mehr und auch ausländische Anteilseigner. Das Publikum wird dadurch diverser, was die Hoffnung nährt, dass auch die Themenvielfalt in den Generaldebatten eine größere wird, das wäre ein echtes Win-win für alle Beteiligten. Auch werden durch die im Internet erforderliche größere Sprechdisziplin die Hauptversammlungen zeitlich verkürzt, ein nicht zu unterschätzender Aspekt.

Last but not least kommen jene Aktionäre, denen die physische Präsenz wichtig ist, in einem kleineren Rahmen der Gesellschaft und deren Vorstand und Aufsichtsrat näher.

Sicherheit hat oberste Priorität

Damit die Hybrid-HV in der Praxis funktioniert, ist Sicherheit ganz essentiell: Einerseits Datensicherheit etwa bei der Identifizierung der Aktionäre beim Einlass und den Abstimmungen, aber auch der ungestörte technische Ablauf, damit die Hauptversammlung anfechtungssicher wird.

To Dos

Um es Gesellschaften zu ermöglichen, in einer Nach-Coronazeit ihre Hauptversammlungen virtuell oder in Hybridform abhalten zu können, ist es wichtig, die aktuellen gesetzlichen Zugeständnisse in den Satzungen zu verankern.

Auch wenn das aktuelle Covid-Gesetz den Stimmrechtsvertretern mehr Gewicht zukommen lässt, so wage ich eine Prognose, dass sich die aktuell gängige Praxis der Bestellung von vier Stimmrechtsvertretern langfristig nicht durchsetzen wird. Warum ich das glaube, erzähle ich Ihnen gerne ein anderes Mal.