26 Feb Weltbank-Manager: “Österreich kann Schlüsselrolle beim Wiederaufbau der Ukraine spielen”
Last Updated on 2023-02-26
standard.at / Jakob Pflügl, 13.01.2023
Noch ist kein Ende des Krieges in Sicht, der Wiederaufbau wird aber bereits in groben Zügen geplant, sagt Alfonso Garcia Mora, Europachef der International Finance Corporation
Als sich 2001 das Ende des Jugoslawienkrieges abzeichnete, nutzten österreichische Banken die Gelegenheit: Sie gründeten Ableger in der Region und bauten ihr Geschäft in Osteuropa massiv aus. Finanzielle Unterstützung bekamen sie dabei von der International Finance Corporation (IFC), einer Organisation der Weltbank, die im Privatsektor investiert. Sie beteiligte sich etwa an einer Tochter der Raiffeisen.
Jetzt, mehr als zwanzig Jahre später, ist Europa wieder Kriegsschauplatz. Ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine ist zwar noch nicht in Sicht, doch schon jetzt gibt es für den Wiederaufbau erste, grobe Pläne. Österreichische Unternehmen könnten dabei einmal mehr eine Schlüsselrolle spielen, glaubt IFC-Europachef Alfonso Garcia Mora.
STANDARD: Die IFC hat ein Hilfspaket für die Ukraine in der Höhe von zwei Milliarden Dollar vorbereitet. Was soll mit dem Geld passieren?
Garcia Mora: Es ist jetzt an der Zeit, den privaten Sektor zu unterstützen. Der Krieg dauert schon länger als erwartet, und wir können nicht mehr warten. Die ukrainische Regierung bekommt bereits viel internationale Unterstützung, wir dürfen aber auch die Unternehmen nicht alleinlassen. Das Geld zur Finanzierung des Hilfspakets kommt zur Hälfte von IFCs eigener Bilanz und zur Hälfte durch Garantien und Finanzierungen zu Vorzugsbedingungen von Geberländern.
STANDARD: Wie kann man Unternehmen in dieser andauernden Krisensituation unterstützen?
Garcia Mora: Das Wichtigste ist jetzt, die Unternehmen am Leben zu halten. Je länger wir warten, desto mehr Firmen gehen verloren, was die wirtschaftliche Erholung schwieriger macht. Der Krieg hat bereits rund fünf Millionen Jobs vernichtet. Wir stellen deshalb vor allem Arbeitskapital und kurzfristige Handelsfinanzierung zur Verfügung. Über langfristigere Investments sprechen wir nach dem Krieg.
STANDARD: Gibt es ein konkretes Beispiel, von dem Sie berichten können?
Garcia Mora: Wir haben zuletzt ins Agrargeschäft investiert. Die Unternehmen müssen jetzt die nächste Erntesaison vorbereiten und brauchen Geld dafür.
STANDARD: Sobald es die Umstände erlauben, will die IFC den Fokus weg von kurzfristigen Investments hin zum Wiederaufbau lenken. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Muss der Wiederaufbau warten, bis der Krieg endgültig beendet ist?
Garcia Mora: Das ist eine schwierige Entscheidung. Wenn der Krieg noch fünf weitere Jahre dauert, können wir nicht so lange warten. Eine Möglichkeit wäre, im Westen zu beginnen und sich dann Schritt für Schritt in den Osten vorzuarbeiten, soweit das möglich ist. Wir müssen außerdem priorisieren und dort starten, wo Investments den größten Effekt auf die Volkswirtschaft haben.
STANDARD: In welchen Sektoren wären das der Fall?
Garcia Mora: In der Landwirtschaft, weil sie für die Versorgungssicherheit eine besondere Bedeutung hat. Und natürlich in der Infrastruktur, im Verkehr und im Energiesektor.
STANDARD: Die IFC stellt nicht nur selbst Kredite zur Verfügung, sondern berät auch ausländische Banken und Unternehmen, die in der Ukraine aktiv werden wollen. Gibt es Firmen, die jetzt schon Investments für die Zeit nach dem Krieg planen?
Garcia Mora: Ich glaube, dass es großes Interesse gibt. Aber der Kriegsverlauf ist nach wie vor schwer abschätzbar. Die meisten Unternehmen warten, bis es mehr Klarheit gibt. Die Risiken für Investoren sind hoch. Wir können helfen, das Risiko privater Investitionen zu reduzieren und den Markt für sie zu öffnen.
STANDARD: Gehen Sie davon aus, dass viele österreichische Firmen in den Wiederaufbau investieren werden?
Garcia Mora: Absolut. Viele sind bereits in der Ukraine aktiv. Österreich ist das Tor nach Osteuropa und kann beim Wiederaufbau eine Schlüsselrolle einnehmen. Schon jetzt unterstützt die Bundesregierung unsere Beratung für die Ukraine finanziell. Das zeigt, wie wichtig das für den österreichischen Wirtschaftsstandort ist.
STANDARD: Besteht die Gefahr, dass westliche Unternehmen den Krieg nutzen, um die ukrainische Wirtschaft aufzukaufen?
Garcia Mora: Ausländische Investments sind an sich etwas Gutes, solange sie die nationale Sicherheit und die Versorgung des Landes mit wichtigen Produkten nicht gefährden. Die ukrainische Regierung muss das natürlich gut organisieren, das kann kein “Flohmarkt” sein. Die Situation ist auch eine Möglichkeit, überfällige Reformen umzusetzen, auch wenn die Ukraine derzeit natürlich andere Sorgen hat.
STANDARD: Apropos Reformen. Die Ukraine ist im Korruptionsindex von Transparency International weit abgeschlagen auf Platz 122. Könnte Korruption ausländische Investoren abschrecken?
Garcia Mora: Das ist ein gutes Beispiel. Es ist kein Geheimnis, dass die Ukraine in den Bereichen Transparenz und Korruption große Probleme hat. Der Wiederaufbau wäre ein guter Zeitpunkt dafür, die nötigen Reformen umzusetzen, auch im Gegenzug für finanzielle Unterstützung der internationalen Community.
STANDARD: Das Geld wird also an Bedingungen geknüpft?
Garcia Mora: Ja, das machen der Internationale Währungsfonds und die Weltbank seit Jahrzehnten. Wenn Länder finanzielle Unterstützung haben wollen, müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen. Die IFC verknüpft ihre Leistungen mit der Einhaltung von Compliance-Standards oder Reformen.
STANDARD: Russland ist Mitglied in der IFC. Der Privatsektor in Russland ist ebenfalls vom Krieg betroffen, vor allem aber von den westlichen Sanktionen. Unterstützt die IFC auch russische Unternehmen?
Garcia Mora: Nein, wir haben seit 2014, als Russland die Krim annektiert hat, nicht mehr in den russischen Privatsektor investiert. (Jakob Pflügl, 13.1.2023)
Alfonso Garcia Mora (48) ist Spanier und in der IFC zuständig für Europa, Südamerika und die Karibik. Der ausgebildete Ökonom arbeitet seit neun Jahren in der Weltbankgruppe.