29 Sep Wenn wir im Alter Hilfe brauchen
Last Updated on 2020-09-29
Dr. Christine Domforth / Dr. Brigitta Schwarzer
Das staatliche Pflegegeld reicht schon heute nicht aus, um eine professionelle Pflege zu finanzieren. Künftig werden noch deutlich mehr Menschen Pflegegeld beziehen, gleichzeitig nehmen die Budgetnöte des Staates zu. Eine private Pflegeversicherung kann im Ernstfall die drohende „Pflegelücke“ reduzieren.
Bis ins hohe Alter fit, gesund und selbständig sein – das wünscht sich wohl jeder von uns. Für die meisten Menschen ist es eine Horrorvorstellung, auf Hilfe angewiesen zu sein. Aktuell beziehen jedoch (Stand Juni 2020) rund 465.000 Menschen, also mehr als fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung, das staatliche Pflegegeld, weil sie alters- oder krankheitsbedingt bzw. als Folge eines Unfalls im Alltag dauerhaft auf Betreuung und Hilfe angewiesen sind. 1993, als das Pflegegeld eingeführt wurde, waren es noch weniger als 300.000 Fälle.
Das staatliche Pflegegeld wird in sieben Stufen ausgezahlt. Die Einstufung, die durch einen ärztlichen Gutachter erfolgt, hängt davon ab, welchen Pflegebedarf die betreffende Person hat. Pflegebedarf bedeutet beispielsweise Unterstützung bei der Körperpflege, bei der Zubereitung von Mahlzeiten, beim Einkaufen oder Begleitung bei Arztbesuchen. Bei Stufe eins, das bedeutet mehr als 65 Stunden Pflegebedarf pro Monat, beträgt das Pflegegeld aktuell 160,10 Euro. Liegt der Pflegebedarf bei mehr als 95 Stunden pro Monat, bekommt man 295,20 Euro (Stufe zwei). Stufe drei bedeutet mehr als 120 Stunden Pflegebedarf pro Monat; hier beträgt das Pflegegeld 459,90 Euro. In diese drei Stufen fallen rund zwei Drittel aller Pflegegeldbezieher.
Pflegegeld bleibt steuerfrei
Für Menschen mit noch höherem Pflegebedarf kommen die Stufen 4, 5 und 6 zur Anwendung. Bei Stufe 7 (mehr als 180 Stunden Pflegebedarf, Bewegungsunfähigkeit), beträgt das monatliche Pflegegeld 1.719,30 Euro. Ausbezahlt wird das Pflegegeld unabhängig vom Einkommen des Betreffenden, die Beträge fließen zwölfmal jährlich und sind steuerfrei. Wie der Bezieher sein Pflegegeld verwendet, steht ihm völlig frei. Er kann damit einen mobilen Dienst bezahlen oder Angehörige honorieren, die ihn betreuen.
Wenn man eine Vorsorgevollmacht erteilt, kann man darin festlegen, wie man im Bedarfsfall gepflegt werden möchte: zu Hause entweder durch Angehörige bzw. durch externe Pflegedienste oder in einem Pflegeheim. Auch eine allfällige Vergütung für pflegende Angehörigen kann vorab fixiert werden. Außerdem kann man regeln, ab welcher Pflegestufe der Vorsorgenehmer ärztliche Auskünfte bekommen soll (Entbindung vom Arztgeheimnis).
Immer mehr Pflegebedürftige
Der Mangel an Pflegekräften ist in Österreich seit Jahren ebenso ein Dauerbrenner wie die Diskussion um die nachhaltige Finanzierung der Pflege. Laut einer soeben veröffentlichten SORA-Umfrage machen sich vier von zehn Österreichern Sorgen, was den eigenen Pflegebedarf oder jenen ihrer Angehörigen in Zukunft betrifft. Ältere sind beim Thema Pflege noch sensibler, ab 65 Jahren sind sechs von zehn besorgt. Eine gesetzliche Pflegeversicherung, wie es sie beispielsweise in Deutschland gibt, ist nicht geplant, die Pflege wird vielmehr aus dem Steuertopf finanziert.
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung werden künftig noch mehr Menschen Pflege brauchen. In den nächsten Jahren kommt die zahlenmäßig besonders starke Gruppe der Baby-Boomer nach und nach ins Pensionsalter. Wenn diese heute noch überwiegend fitten Menschen in 20 bis 30 Jahren teilweise zu Pflegefällen werden, ist das heimische Sozialsystem massiv gefordert. Bis 2050, so schätzen Experten, werden hierzulande rund 750.000 Menschen Pflegegeld beziehen.
Die meisten Pflegebedürftigen werden derzeit zu Hause gepflegt. Das entspricht in der Regel ihren Wünschen und ist kostengünstiger als die Unterbringung in einem Pflegeheim. Auch wenn mobile Dienste – etwa Heimhilfen, Essen auf Rädern etc. – bei der Pflege daheim eine wichtige Rolle spielen, liegt die Hauptlast der Betreuung in der Regel bei der Familie. Rund 950.00 Menschen in ganz Österreich pflegen derzeit ihre Angehörigen. Es sind dies fast ausschließlich Frauen, ihr Durchschnittsalter liegt bei 62 Jahren. Weil die Zahl der Singlehaushalte immer mehr wächst, die Familien weniger Kinder haben, Frauen zunehmend selbst berufstätig sind und das faktische Pensionsantrittsalter steigen soll, wird die Pflege durch Familienmitglieder langsam zum Auslaufmodell.
Budgetnöte zwingen zum Sparen
Das Pflegegeld war und ist auch heute noch eine wichtige soziale Errungenschaft. Um die tatsächlichen Kosten einer professionellen Pflege zu decken, reicht es meist jedoch nicht aus. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass der Staat wegen der demografischen Entwicklung und der jetzt notwendig gewordenen Corona-Hilfen finanziell zunehmend in Bedrängnis kommen wird. Üppige Pensionserhöhungen dürfte es in Zukunft wohl nicht mehr geben, eher werden die Pensionen sinken. Das Pflegegeld wurde zwischen 1993 und 2019 nur sporadisch erhöht, die Inflation nicht zur Gänze ausgeglichen. Erst per 2020 wurde das Pflegegeld valorisiert, da hatte es gegenüber dem Start 1993 bereits rund 35 Prozent seines Wertes verloren. Ob es in Zukunft tatsächlich die versprochene jährliche Erhöhung geben wird, bleibt abzuwarten.
„Pflegelücke“ droht
Viele Österreicher sorgen bereits in Eigenregie für ihr Alter vor und haben eine private Pensionsversicherung abgeschlossen. Wer glaubt, damit auch das Risiko der Pflegebedürftigkeit abdecken zu können, der irrt. Wenn man z.B. in der Pflegestufe drei ist, bedeutet das einen monatlichen Pflegebedarf von 120 bis 160 Stunden. Stellt man für eine ambulante Pflegekraft bloß den Mindeststundensatz von 15 Euro in Rechnung, dann braucht man etwa bei 140 Stunden Pflegebedarf pro Monat 2100 Euro. Professionelle Pflegekräfte verlangen noch deutlich höhere Stundensätze. Das Pflegegeld Stufe 3 beträgt aber nur 459,90 Euro, daher bleibt eine „Pflegelücke“ von monatlich rund 1640 Euro. Die Lebenshaltungskosten (Miete, Strom und Gas, Essen usw.) laufen ja weiter, auch wenn man Pflege braucht. Die private Zusatzpension, mit der man die staatliche Pension ergänzen und sich damit mehr Lebensqualität im Alter sichern wollte, ist in so einem Fall recht schnell aufgebraucht.
Alternative: private Pflegeversicherung
Wer nicht darauf vertraut, dass er niemals pflegebedürftig wird, und im Ernstfall auch nicht auf das eigene Vermögen oder das der Kinder zurückgreifen will, kann eine private Pflegeversicherung abschließen. In Österreich bieten zahlreiche Versicherungsgesellschaften diese Risikoversicherung als persönlichen „Schutzschirm“ an. Wie auch bei der privaten Pensionsvorsorge gilt: je früher im Leben man abschließt, desto günstiger ist die Prämie. Das Höchstalter liegt je nach Gesellschaft bei 65 bis 75 Jahren.
Grundsätzlich gibt es zwei Kategorien der privaten Pflegeversicherung. Die eine orientiert sich an der gesetzlichen Pflegeversicherung. Je höher die Pflegestufe, desto höher ist die monatliche Rente. Die andere Kategorie richtet sich nach den „Activities of daily life“ (ADL), also Tätigkeiten des täglichen Lebens. Das können beispielsweise das Einnehmen von Mahlzeiten und Getränken oder das Aufstehen und Zubettgehen sein. Auch hier wird eine monatliche Rente ausgezahlt, die danach bemessen wird, bei wie vielen Aktivitäten Hilfe benötigt wird. Die Höhe der Rente kann man selbst bestimmen. Dabei gilt logischerweise: je höher, desto teurer. Als Faustregel gilt, dass private Pflegeversicherungen das staatliche Pflegegeld verdoppeln. Damit wird eine „Pflegelücke“ nicht geschlossen, sondern lediglich reduziert.
Steuerliche Förderung wäre vernünftig
Bevor man eine Pflegeversicherung abschließt, sollte man unbedingt die Angebote der einzelnen Gesellschaften vergleichen. Wie hoch die Prämie ist, hängt von mehreren Faktoren ab: Modell (ADL ist meist etwas teurer), Alter beim Abschluss, eventuelle Vorerkrankungen, Höhe der gewünschten Rente usw. Zu beachten ist, dass bei den meisten Tarifen erst ab der Pflegestufe 3 oder 4 gezahlt wird.
Die steuerliche Geltendmachung von Versicherungsprämien (Kranken-, Lebens- und Pflegeversicherung) wurde 2016 abgeschafft, Altverträge können 2020 letztmals steuerlich berücksichtigt werden. Weil das Pflegethema in den kommenden Jahren noch an Brisanz gewinnen wird, bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier umdenkt und die steuerliche Absetzbarkeit wieder einführt. Dieser Anreiz könnte dazu führen, dass mehr Menschen auf Eigeninitiative setzen und damit die öffentliche Hand entlasten.