Wer ganz wach ist, ist nicht kreativ

Wer ganz wach ist, ist nicht kreativ

Last Updated on 2022-01-13
kurier.at, 21.05.2013

Schriftsteller, Musiker und Maler erklären, wann die Schöpferkraft bei ihnen durchbricht. Der Text ist nicht neu, aber heute mehr denn je aktuell.

Kreativität muss man passieren lassen. Da sind sich Maler Hermann Nitsch, Schriftsteller Stefan Slupetzky und der Kreativitätstrainer Erich Weisbier einig. Aber Nitsch mag das Wort nicht: „Ich finde ‚schöpferisch‘ trifft es besser als ‚kreativ‘. Es geht darum, den schöpferischen Zustand des Seins zu überhöhen, zu intensivieren.“

Slupetzky hat nichts gegen das Wort Kreativität. Der Schöpfer der „Lemming“-Krimis studierte bildende Kunst, war Zeichenlehrer, illustrierte und schrieb Kinderbücher und ist jetzt auch Musiker (Trio Lepschi). „Für mich ist Kreativität eine Frage des mentalen Zustandes. Je wacher ich bin, desto weniger kreativ bin ich. Die Alpha-Wellen im Gehirn sind dabei das zentrale Moment.“ Alpha-Wellen treten verstärkt auf, wenn man sich bei geschlossenen Augen in entspannter Wachheit befindet, vor allem in der Einschlaf- und Aufwachphase. „Da fallen mir Lösungen zu künstlerischen Problemen ein, die mich schon länger quälen.“ Damit sie ihm nicht verloren gehen, memoriert er die Ideen beim Einschlafen. „Am nächsten Tag erinnere ich mich daran.“

Training

Der Coach Erich Weisbier bietet in einem internationalen Trainernetzwerk (www.kreativitaets-akademie.de) Kreativitäts-Kurse an. Sagt aber, man kann Kreativität niemandem beibringen: „Es geht ums Machen. Die Teilnehmer erhalten in geführten Übungen die Möglichkeit, etwas auszuprobieren. Durch Reflexion und Eigenreflexion erkennen sie anhand des Resultates, was sie gemacht haben.“

Slupetzky sieht das ähnlich: „Ein großes Geheimnis ist, dass man es passieren lässt. Jeder kennt das Gefühl, wenn eine Sache läuft: Dann mache ich sie nicht, sondern sie macht sich selbst.“ Dieses Gefühl sei Kreativität. Gestört wird es nur durch den Willen, alles unter Kontrolle zu halten. Weisbier: „Je mehr Stress ein Mensch ausgesetzt ist, desto weniger passiert. Druck und Stress sind Kreativitätsbremser.“

Slupetzky gibt sich beim Schreiben ein Soll von einer Seite pro Tag vor. „Erreiche ich die, bin ich zufrieden. Manchmal werden es zwei. Und ich hebe mir ein bis zwei Sätze auf, die ich schon weiß. So komme ich am nächsten Tag gut rein.“

Maler Nitsch lehnt Druck nicht vollständig ab, weil man sich zum Kreativ-Prozess auch zwingen muss: „Das Schöpferische passiert zwar von selbst, aber die Frage ist, in welchem Maß.“ Er spüre es am stärksten bei Spaziergängen durch seinen Weingarten oder wenn er in der Nacht Sterne ansieht.

Gute Tagträume

Genau in solchen Momenten und damit verbundenen Tagträumen ortet Weisbier den Raum für Fantasie, um die es letztlich geht. In wissenschaftlichen Untersuchungen hat er deshalb zu den gängigen Maßstäben IQ (Intelligenzquotient) und EQ (Emotionale Intelligenz) den HQ (Handlungsquotient; die Möglichkeit des Menschen, etwas umzusetzen) eingeführt. „Diese Fähigkeit entsteht nicht automatisch bei hohem IQ und EQ. Das muss man trainieren.“ Der ebenfalls eingeführte CQ (Kreativquotient) ist für Weisbier eine wichtige Größe im Beruf: „Vor allem im Umgang mit Mitarbeitern. Aber der CQ hängt zu stark mit dem EQ zusammen. Es geht immer ums Handeln.“

Wenn das Gehirn Musik hört, denkt es sich Farben dazu

Ein Flötenkonzert in Dur ist gelb und orange, ein Requiem in Moll eher bläulich-grau: Die Psychologen Karen Schloss und Stephen Palmer von der Berkeley-Universität in Kalifornien fanden heraus, dass das menschliche Gehirn Musik mit Farbe verknüpft. 100 Probanden sollten 18 gehörten Stücken je eine von 37 Farben zuordnen. 95 Prozent der Testpersonen wählten die gleiche oder eine sehr ähnliche Farbe. Das Ergebnis war bei US- und bei Lateinamerikanern gleich. Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Menschen haben eine ähnliche emotionale Palette, wenn sie bestimmte Musikstücke mit Farbgebungen, also Klangfarben zu den Liedern, assoziieren. Das Gefühl für die Farben zur Musik kommt intuitiv. Das spreche wiederum dafür, dass Kreativität grundsätzlich in jedem Menschen vorhanden ist.

Die Studienergebnisse helfen bei kreativen Therapien. Allerdings sagen die Forscher, dass auch die Werbung einen Nutzen daraus ziehen kann, um Menschen emotional zu beeinflussen.