17 Dec Wer zahlt die Zeche?
Last Updated on 2020-12-17
Dr. Christine Domforth
Die Zinsen liegen nahe dem Nullpunkt und werden – auch coronabedingt – noch länger dort verharren. Das freut alle Schuldner, bringt Sparern unterm Strich aber Verluste. Besonders betroffen sind Menschen im oder knapp vor dem Pensionsalter, die für ihr Alter vorsorgen wollten.
Die Corona-Pandemie hat die ohnehin bestehenden Gräben zwischen Alt und Jung noch weiter vertieft. Alle verhängten Maßnahmen – von der Maskenpflicht über Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Lokale und Theater bis hin zum harten Lock-down – werden ja vor allem mit dem Schutz der älteren Menschen (und solchen mit Vorerkrankungen) begründet. Senioren erkranken aufgrund der Virus-Infektion oft schwer, müssen ins Krankenhaus oder sogar auf die Intensivstation. So sehen das zumindest viele junge Menschen, weil sie selbst eine Corona-Erkrankung meist locker wegstecken, oft gar nicht bemerken.
Pensionisten als Feindbild
Dabei stand es um die Solidarität zwischen den Generationen schon vor Covid-19 nicht zum Besten. Schuld daran ist vor allem die demografische Entwicklung in nahezu allen westlichen Industrieländern. Die Zahl der Pensionisten steigt überall. In Österreich wird beispielsweise die Bevölkerung 60 plus bis 2080 von derzeit 2,2 auf 3,5 Millionen Menschen anwachsen. Und weil auch die Lebenserwartung zunimmt, beziehen diese ihre Pension immer länger. Finanzieren müssen das – zumindest in dem in Österreich praktizierten Umlagesystem – die Jüngeren, von denen es aber dank Pillenknick und anderer gesellschaftlicher Veränderungen immer weniger gibt.
Da können die vermeintlich saturierten „Silver Ager“ schon mal zum Feindbild für die nachfolgenden Generationen werden. Für den Staatszuschuss zu den Pensionen müssen immer höhere Beträge aufgewendet werden, Geld, das für Schulen und Universitäten, zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen oder zur Bekämpfung des Klimawandels weit sinnvoller eingesetzt wäre, so die Argumentation.
Zins-Flaute bis 2050?
Doch es gibt eine langfristige Entwicklung, von der vor allem die Jungen profitieren und für die die Älteren die Zeche zahlen müssen. Seit im Jahr 2008 die Finanzkrise ausbrach und wenige Jahre später auch noch die Eurokrise die Finanzmärkte verrücktspielen ließ, geht es mit den Zinsen schrittweise immer weiter bergab. Seit mehr als vier Jahren liegt der Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank bei null Prozent. In den USA, Großbritannien, Japan und der Schweiz liegen der Leitzinssatz ebenfalls in der Nähe der Null-Linie oder sogar darunter.
Daran wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich nichts ändern. Der schwere wirtschaftliche Einbruch, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat, lässt sich, wenn überhaupt, nur mit einer Flut an billigem Geld einigermaßen bewältigen. Und die zur Krisenbekämpfung praktisch von allen Ländern aufgenommenen Milliardenschulden – die Schuldenstände der meisten westlichen Industriestaaten werden allein heuer um etwa 20 Prozent des BIP steigen – führen nur dann nicht zur Staatspleite, wenn die Zinsen für Staatsanleihen nahe null oder gar negativ sind. Experten schätzen deshalb, dass die Nullzinsphase sogar bis zum Jahr 2050 andauern könnte.
Dass Kreditnehmer und verschuldete Staaten von niedrigen Zinsen profitieren ist eine Binsenweisheit. So ist beispielsweise der Zinsendienst für die österreichische Staatsverschuldung, die derzeit bei rund 230 Milliarden Euro liegt, von 2012 bis 2019 um 2,5 Milliarden Euro gesunken. Die Sparer hingegen sind die Opfer der Zinsen-Schwindsucht, manche Kritiker der EZB-Zinspolitik sprechen sogar von einer Enteignung. Wie hoch die entgangenen Zinserträge sind, ist natürlich schwer zu beziffern, es gibt schließlich keinen Anspruch auf ein bestimmtes Zinsniveau. Dass es dabei um Milliarden geht, steht freilich außer Zweifel, haben doch allein die privaten Haushalte sage und schreibe 280 Milliarden Euro bei den heimischen Banken deponiert. Die Österreicher sind in ihrem Finanzverhalten eher konservativ. Aktienbesitz ist hierzulande noch immer ein „Minderheitenprogramm“, es dominieren Sparbuch, Bausparvertrag sowie die klassische Lebensversicherung, also lauter Anlageformen, die unter der Zinsflaute besonders leiden.
Hunderte Milliarden „verloren“
Für Deutschland hat die Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank (DZ) den Versuch unternommen, den Verlust der Sparer und Anleger durch die Niedrigzinsen zu beziffern. Für den Zeitraum von 2010 bis 2019 waren dies gigantische 648 Milliarden Euro. Als „normales Zinsniveau“ haben die DZ-Experten dabei die durchschnittlichen Zinssätze der Jahre 1999 bis 2009 herangezogen und diese mit den tatsächlich gezahlten verglichen. Dem Megaverlust der Sparer standen rund 290 Milliarden Euro gegenüber, die sich die Kreditnehmer durch die billiger gewordenen Kredite ersparten.
Für Österreich ergab eine Umfrage im Auftrag der Erste Group, dass die heimischen Sparer allein im Vorjahr wegen der Inflation und der nahezu nicht existenten Sparzinsen den Gegenwert von fast fünf Milliarden Euro verloren und damit eine Negativrendite von 1,6 Prozent eingefahren haben. Und eine Trendwende ist wie erwähnt weit und breit nicht in Sicht.
Der Vermögensverlust durch die Minizinsen ist aber nicht gleichmäßig auf die Generationen verteilt, er trifft die ältere Bevölkerung deutlich stärker als die jüngere Generation. Verlässliche Zahlen über die Vermögensverteilung in Österreich existieren kaum. Die Diskussion über das Thema erschöpft sich meisten in simplen Reichen-Rankings oder ist ideologisch gefärbt, um damit die Forderung nach einer Erbschafts- oder Vermögenssteuer untermauern. Eine Aufschlüsselung, wie sich das Geld- bzw. Immobilienvermögen der Österreicher den einzelnen Altersgruppen zuordnen lässt, fehlt. Aber es ist eine unbestrittene Tatsache, dass Menschen im mittleren und höheren Alter in der Regel mehr Ersparnisse haben als jüngere Leute, die eher Kredite aufgenommen haben. Die Gehaltskurve steigt mit dem Alter, die Kinder sind oft schon aus dem Haus, Kredite wurden bereits abbezahlt und man hat vielleicht auch geerbt oder bekommt eine Abfertigung. Das alles schlägt sich auf dem Kontostand entsprechend nieder.
Vermögen wächst mit dem Alter
Eine vor kurzem veröffentlichte IW-Studie aus Deutschland liefert dazu aufschlussreiches Zahlenmaterial. Demnach sind die Vermögen deutlich ungleicher verteilt als die Einkommen und das Vermögen wächst mit dem Alter des Hauptverdieners. Der „Peak“ wird in der Altersgruppe zwischen 55 und 59 erreicht, bis 74 bleibt das Vermögen dann auf einem relativ hohen Niveau. Erst danach geht es leicht bergab, weil Ersparnisse langsam aufgebraucht werden. Eine andere Studie, die auf Daten der Deutschen Bundesbank beruht, zeigt, dass die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen über das größte Nettovermögen verfügt.
Pensionisten und „Babyboomer“, die jetzt bzw. in den kommenden Jahren in den Ruhestand wechseln, haben während des aktiven Berufslebens teilweise Konsumverzicht geübt und gespart. Ihre Hoffnung war, mit dem angesparten Vermögen die zu erwartende Pensionslücke reduzieren und so den gewohnten Lebensstandard im Alter halbwegs halten zu können. Kalkuliert wurde dabei mit jenen Zinserträgen, die über lange Jahre als normal galten. Seit geraumer Zeit werfen Ersparnisse aber so gut wie keine Zinsen mehr ab, abzüglich der Inflation bleibt unterm Strich sogar ein Verlust. Die ältere Generation hat somit das Nachsehen und kann auch nicht darauf hoffen, dass sich daran während ihrer restlichen Lebenszeit noch viel ändern wird. Jene sieben Prozent, die zur sogenannten Oberschicht gehören, haben ihr Geld meist in Aktiendepots, Firmenbeteiligungen und Immobilien angelegt, hier spielt das Zinsniveau kaum eine Rolle. Aber zwei Drittel der Menschen, also alle die zur Mittelschicht zählen, verlieren – sofern sie Ersparnisse angesammelt haben – durch die Nullzinsen.
Fazit: Es heißt zwar immer wieder, dass sich die Alten auf Kosten der Jungen, die ihre Pensionen erarbeiten müssen, ein schönes Leben machen. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Jüngeren von den niedrigen Kreditzinsen deutlich profitieren, während die „Oldies“ um die Früchte ihrer Ersparnisse umfallen.