Wilhelm Rasinger – der Sir des Kapitalmarktes ist tot

Wilhelm Rasinger – der Sir des Kapitalmarktes ist tot

Last Updated on 2020-12-14

Der Gründer des Interessenverbandes für Anleger kämpfte mit viel Courage und Energie für die Rechte der Kleinanleger und für eine Aktionärskultur

von Andrea Hodoschek

Er kämpfte unermüdlich und unerschrocken für die Verbesserung der Aktionärskultur in Österreich. Für einen funktionierenden Kapitalmarkt und die Interessen der Kleinanleger. Jetzt hat Wilhelm Rasinger den Kampf gegen eine heimtückische Krankheit verloren. Wie der KURIER aus Familienkreisen erfuhr, verstarb Wilhelm Rasinger dieser Tage. Der 72-jährige, fünffache Familienvater hinterlässt auf dem österreichischen Kapitalmarkt eine große Lücke.

Nach dem Betriebswirtschafts-Studium an der TU Wien begann Wilhelm Rasinger als Unternehmensberater. Die Österreich-Tochter des deutschen Versicherungsriesen Allianz holte Rasinger 1983 als Prokurist an Bord. 1999 gründete Rasinger den IVA, den Interessenverband für Anleger.

Der heimische Kapitalmarkt brauchte den IVA dringend. An der Wiener Börse hatte sich eine Zockermentalität breitgemacht, die Rechte von Kleinaktionären waren de facto kein Thema. Aktionärskultur war ein Fremdwort.

Wilhelm Rasinger brachte alle Voraussetzungen mit, diese herausfordernde Aufgabe zu erfüllen. Fachlich war sein Know-how unbestritten, er zählte zu den Top-Experten des Landes. Wilhelm Rasinger hatte auch die notwendige Zivilcourage. Die Kontrahenten, mit denen er sich unerschrocken anlegte, saßen immerhin in den größten börsenotierten Unternehmen dieses Landes.

Was Wilhelm Rasinger noch dazu auszeichnete, war sein Stil. Im Gegensatz zu manchen selbst ernannten Anleger-Vertretern blieb er auf den Hauptversammlungen auch in den hitzigsten Diskussionen immer sachlich und wurde nie untergriffig. Bestens vorbereitet, brachte er so manche CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende ziemlich in Verlegenheit.

Es ging ihm allerdings nie darum, auf den Hauptversammlungen eine Show abzuziehen, dazu war er viel zu seriös, sondern um die Interessen der kleinen Anleger. Sie hatten mit Wilhelm Rasinger erstmals eine kompetente, unerschrockene Stimme, die sich für ihre Rechte einsetzte.

Für die Anleger hat Wilhelm Rasinger wirtschaftlich viel erreicht. Er schaffte es, dass etliche Abfindungsangebote nachgebessert wurden und scheute in diesem Zusammenhang auch gerichtliche Auseinandersetzungen nicht. Von der Bank Austria bis zur Meinl Bank.

Als Lobbyist versuchte Rasinger Jahrzehnte lang, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Kapitalmarkt und die Aktionäre zu verbessern. Seine Expertise brachte er immer wieder in Arbeitsgruppen ein.

Ein Profi war Wilhelm Rasinger auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Sein großes Ziel war es, die Österreicher vom Sparbuch hin zu Aktien zu bringen und auf breiter Ebene ein Bewusstsein für den Kapitalmarkt zu schaffen. Hier, meinte er einmal, hätte er freilich noch viel zu tun gehabt.

Bei den Medien war Wilhelm Rasinger stets ein gesuchter Gesprächspartner. Wenige Interviewpartner im Finanzbereich äußerten ihre Meinungen so kritisch und unabhängig wie der Chef des IVA. Generationen von Wirtschafts- und Finanzjournalisten stand Wilhelm Rasinger zudem mit fachlichem Rat zur Seite.

Nicht nur Journalisten, auch Aufsichtsräten stellte Rasinger gerne seine Expertise zur Verfügung. Er war einer der Ersten mit Seminaren für Aufsichtsräte, bei denen er – zu Recht – großen Nachholbedarf ortete. Fachlich und interessensmäßig. Der Aufsichtsrat, so sein Credo, habe allein die Interessen des Unternehmens zu vertreten. Sobald er bei der Türe reinkommt, „hat er andere Interessen an der Garderobe abzugeben“.

Selbst war Wilhelm Rasinger im Lauf der Jahre in einigen Aufsichtsräten präsent, von Agrana bis zu Wienerberger und S-Immo. Zuletzt war er noch im Aufsichtsrat der Erste Group.

Ein Anliegen war ihm auch die Ausbildung der Studenten. Er fand noch Zeit für eine Honorarprofessur für Betriebswirtschaftslehre an der TU Wien und unterrichtete auch an der Fachhochschule Krems.

Quelle: kurier.at vom 14.12.2020
Fotocredit: Doris Kucera