William Shakespeare im Homeoffice

William Shakespeare im Homeoffice

Last Updated on 2021-06-08
Wie Pestausbrüche und Quarantänen Leben und Werk des bedeutendsten Dramatikers beeinflussten.

Wenn eine Seuche ausbricht, holt der Tod nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Ein Beispiel dafür liefert das berühmteste Liebespaar der Literaturgeschichte, Romeo und Julia. Ja, die beiden sterben in William Shakespeares Drama durch Selbstmord, denn er nimmt Gift, weil er sie für tot hält, und sie ersticht sich, als sie neben seiner Leiche aus dem Scheintod erwacht. Aber was führt zu diesem tragischen Ausgang?

In erster Linie natürlich die bittere Feindschaft zwischen den Familien Capulet und Montague. Entscheidend ist aber letztlich, dass der Mönch Marco nicht imstande ist, Romeo die Nachricht zu überbringen, dass Julia nur in einen tiefen Schlaf versetzt ist, denn Marco wird unterwegs wegen der gerade grassierenden Pest unter Quarantäne gestellt. Das Stück endet mit den tristen Zeilen: “Denn niemals gab es ein so herbes Los/als Julias und ihres Romeos.”

Mit Seuchen und Quarantäne hatte man im England Shakespeares viel Erfahrung, deshalb empfand es das damalige Publikum sicher nicht als sonderbar, wie in “Romeo und Julia” der tragische Ausgang herbeigeführt wird. Zwischen 1485 und 1551 suchte der “Englische Schweiß” das Land heim, im Spätmittelalter wurde die englische Bevölkerung durch die Pest um 60 Prozent dezimiert. Immer wieder kehrte die Seuche zurück, besonders heftig 1665/66 in London, literarisch dokumentiert von “Robinson Crusoe”-Autor Daniel Defoe.

Pestepidemien begleiteten auch William Shakespeares Laufbahn als Dramatiker, Schauspieler und späterer Mitinhaber des “Globe”-Theaters in London. In diesen Zeiten konnte er sich ins “Homeoffice” zurückziehen und neue Werke schreiben, vor allem Dramen, aber auch Gedichte und Verserzählungen. Seine Dichtung “Venus und Adonis” von 1593 gilt als eine der ersten Früchte einer solchen Pest-“Auszeit”, die er manchmal auch in seiner Heimatstadt Stratford verbracht haben dürfte. Ob sich der Herr des Hauses nebenbei auch um die Betreuung seiner drei Kinder kümmerte, ist aber eher zu bezweifeln. Eines davon, sein einziger Sohn Hamnet, starb schon 1596 im Alter von elf Jahren in Stratford, wahrscheinlich an der Beulenpest.

Vielleicht lässt kaum ein Text mehr in das Innenleben des Dichters blicken als folgende Zeilen aus dem damals entstandenen “König Johann”: “Gram füllt die Stelle des entfernten Kindes,/Legt in sein Bett sich, geht mit mir umher,/Nimmt seine allerliebsten Blicke an,/Spricht seine Worte nach, erinnert mich/An alle seine holden Gaben, füllt/Die leeren Kleider aus mit seiner Bildung.” Auf der anderen Seite mutet es seltsam an, dass Shakespeare in den folgenden Jahren seine fröhlichsten Komödien schrieb.

Die in der Zeit von Königin Elizabeth I. aufblühende Bühnenkunst hatte nicht nur Freunde, sondern auch leidenschaftliche Gegner. Die Puritaner sahen in den Theatern, die sich im Vergnügungsviertel südlich der Themse befanden, Stätten von Sünde und Zügellosigkeit und gaben ihnen die Schuld, wenn als “Strafe Gottes” immer wieder die Pest ausbrach. Wenn in einer Woche mehr als 30 Londoner an der Pest starben, mussten die Theater schließen, und das kam immer wieder vor. Allein zwischen 1603 und 1613 blieben die Theater insgesamt 78 Monate geschlossen, also im Durchschnitt sieben Monate im Jahr.

Mit großer Wahrscheinlichkeit hat William Shakespeare einige seiner bedeutendsten Stücke – etwa “König Lear” und “Macbeth” – in erzwungener Quarantäne verfasst. Die Pest kam auch ihm sehr nahe, 1606 starb seine Londoner Vermieterin, Marie Mountjoy, an der Krankheit. Damals dürfte Shakespeare gerade an “Macbeth” gearbeitet haben, einem Drama, in dem man einen originellen Bezug zur heutigen Krise entdeckt hat. Lady Macbeth versucht, einen imaginären Blutfleck von ihrer Hand zu entfernen, und liefert in ihrem Monolog einen perfekten Untertitel für aktuelle Piktogramme, die ein korrektes Händewaschen erklären: “Wie, wollen diese Hände denn nie rein werden?”

Quelle: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/geschichten/2059006-William-Shakespeare-im-Homeoffice.html