Zwischen Gesetzbuch und Speisekarte

Zwischen Gesetzbuch und Speisekarte

Last Updated on 2020-01-20
Brigitta Schwarzer

Sie pendelt zwischen drei Welten und hat alles im Griff:  Johanna Graisy ist Juristin mit eigener Anwaltskanzlei, Geschäftsführerin von „Gustl kocht“ und Privatperson. Im INARA-Interview erklärt sie, wie sie alles in Balance hält.

Als Juristin befasst sich Dr. Johanna Graisy vor allem mit Erbrecht und Zivilrecht. „Besonders bei Erbfragen wird man als Anwältin leider sehr oft mit negativen Energien konfrontiert. Das macht mich manchmal richtig wütend“, erzählt Graisy. Sie arbeitet auch als Schiedsrichterin und hat ein Fachbuch über die Vererbung von GmbH-Anteilen verfasst. Studiert hat die 37-jährige mit polnischen Wurzeln, die in ihrer Kanzlei eine Konzipientin beschäftigt, in Wien und Salzburg. Neben deutsch spricht sie englisch, französisch und polnisch (alles verhandlungssicher) sowie etwas italienisch.

Was „Gustl kocht“ ausmacht

Sie liebt die intellektuelle juristische Arbeit, vermisst dabei aber die kreative Seite. Die kann sie als Geschäftsführerin des Bio-Gasthauses „Gustl kocht“ voll ausleben. „Ich finde die Kombination zwischen meinen beiden Jobs großartig, das ergänzt sich einfach ideal“, sagt Graisy. Das Lokal im dritten Wiener Gemeindebezirk war früher bereits Kino, dann Wäscherei, später zog ein Hutmacher ein. Heute wird dort gekocht und zwar österreichische Küche sowie jene der östlichen Nachbarländer. Es gibt polnische, serbische, türkische und georgische Speisen, dazu kommen jeweils saisonale Gerichte. „Gustl kocht gibt es nur einmal – so speziell, so ausgerissen“, meint die Chefin nicht ohne Stolz. Als Inspirationsquelle dient u. a. Graisys umfangreiche Kochbuchsammlung. Auch privat kocht sie gerne und probiert gerne etwas aus.

Im Lokal, das Montag Ruhetag hat und somit der Chefin gelegentlich ein verlängertes Wochenende ermöglicht, arbeiten 20 Mitarbeiter. Die Mannschaft ist sehr international, Slowakei, Rumänien, Ägypten, Afghanistan, eine russische Studentin, ein Deutscher. „Meine afghanische Hilfsköchin ist Juristin, sie kam als Flüchtling hierher und hat vor zwei Monaten die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten“, erzählt Graisy. Etwa die Hälfte sind Frauen, sie arbeiten im Service. Für die Küche bewerben sich fast nur Männer, vielleicht weil das Kochen körperlich sehr anstrengend ist. Sprache im Lokal ist deutsch, einer der Köche spricht allerdings nur englisch. Es gilt der Grundsatz „Learning by doing“.

Als Restaurant-Chefin muss Graisy, die jeden Tag im Lokal ist, auch unternehmerisch agieren, Wareneinsatz, Personalkosten sowie Preisgestaltung müssen betriebswirtschaftlich durchdacht werden. Kurzfristiger Erfolg ist ihr weniger wichtig als Nachhaltigkeit. Sie wünscht sich, dass es Gustl kocht noch möglichst lange gibt.

Bei Gustl kocht ist alles Bio. Das ist Graisy wichtig, verursacht beim Einkauf und durch die Zertifizierung aber auch höhere Kosten. Sie schätzt, dass etwa ein Fünftel der Gäste die Bioqualität schätzen, der überwiegende Teil kommt einfach, um gut zu essen. Die Preise sind moderat, die Chefin will keine „Bobo-Hütte“ führen und auch kein spezielles Kundensegment ansprechen. Die Gäste stammen aus allen Bevölkerungsschichten und allen Altersgruppen. Im Lokal ist immer etwas los, am Wochenende wird ein Brunch angeboten. „Das Gustl kocht ist ein Ort zum Treffen und Wohlfühlen, es ist für jeden und jede etwas dabei“, sagt die Geschäftsführerin. Ihre Anwaltsgespräche finden oft im Salon des Restaurants statt, die Klienten kommen gerne hierher und bekommen zur Beratung auch feine gastronomische Verpflegung.

Alles wird frisch gekocht und soweit möglich im Sinne der Nachhaltigkeit verarbeitet. Plastik wird im Betrieb möglichst vermieden. Gustl kocht bietet auch Take away an, das Geschirr dafür ist aus recycelbarem Kunststoff, es darf aber auch jeder sein eigenes Geschirr mitbringen.

Delegieren und abschalten wichtig

Wie bringt man zwei Vollzeitjobs – als Anwältin und als Geschäftsführerin eines Lokals – unter einen Hut? „Ich habe gelernt, zu delegieren, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht alles sofort zu machen. Außerdem kann ich gut abschalten”, sagt Graisy. Das Switchen zwischen den beiden verschiedenen Lebensbereichen, die sich auch in ihrer Sprache stark unterscheiden, ist für sie äußerst wertvoll, „eine wahrlich wunderbare Welt“. In der Kanzlei und im Lokal ist sie eine Chefin zum Angreifen, im Gustl kocht fühlt sie sich manchmal wie eine Mama in einer großen Familie.

Die Tage von Graisy, die von ihrer Umgebung als Wirbelwind und voller Energie bezeichnet wird, sind gut gefüllt. Viele Mails, viele Telefonate und vor allem viele Menschen in ihrer gesamten Bandbreite. „Da ist mir die Ruhe am Abend heilig“, sagt sie. Sie kann gut abschalten, wichtig für ihr Wohlbefinden sind auch acht bis neun Stunden Schlaf pro Nacht. Graisy liest gerne, wäre eigentlich gerne Schriftstellerin geworden. „Vielleicht schreibe ich einmal über das Gustl kocht, das wäre ein Buch wert.“

Website Gustl kocht: www.gustl-kocht.at

Website Kanzlei: www.graisy.at


@Helmrich/OekoBusiness Wien

Das ist das Logo von OekoBusiness Wien, das Gastronomen verliehen wird, die besondere Standards beim Essen einhalten (wie Bio, Nachhaltigkeit)
– es läuft unter der Bezeichnung „Natürlich gut Essen“.